Soziopod #017: Das Beschneidungsdilemma

In dieser Ausgabe des Soziopods sprechen Herr Breitenbach und Doktor Köbel über die derzeitige Kontroverse rund um das Thema „religiöse Beschneidung“. Wir sprechen in erster Linie darüber, wie man mit dem Dilemma als Gesellschaft umgehen sollte und rufen zur Popperianischen Wachsamkeit auf.

Wie immer sind wir gespannt auf eure Ergänzungen in den Kommentaren, vor allem sind jetzt mal die Juristen unter euch gefragt.

Links zur Sendung (weitere Links folgen):

Intro: Gerhard Polt: Toleranz

Eine Frage der Zugehörigkeit

Kampf der Ideologien – (M)eine Interpretation zur Beschneidungsdebatte

Soziopod #005: Religion

Soziopod #010: Extremismus und Fundamentalismus

Soziopod #015: Karl Popper


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Kommentare

13 Antworten zu „Soziopod #017: Das Beschneidungsdilemma“

  1. danke für die ruhigen Gedanken zu dem Thema zwischen all den Schreiern auf beiden Seiten.

    Es stellt sich die Frage, ob wir Eltern oder Curricula eine bessere Erziehung zutrauen. Die besten Beispiele hat Barry Schwartz 2009 formuliert:
    http://www.ted.com/talks/barry_schwartz_on_our_lo

  2. Erstmal: Danke für den Beitrag zur Debatte.

    Was ich bei Euch vermisse: Wie will man einerseits ein Gesetz zur Erlaubnis der Beschneidung bei Jungen schaffen, mit dem nicht gleichzeitig ein vergleichbarer Eingriff bei Mädchen aus religiösen Gründen genauso ermöglicht wird? Das ist ja von der Regierung verbreitet worden, dass man weibliche Beschneidung in gar keinem Fall erlauben wollte. Das ist mindestens juristisch mal spannend.

    Dazu passend ist mir kürzlich die Nachrichtenmeldung begegnet, dass im Land Elfenbeinküste gerade erstmals Menschen wegen der Beschneidung von Mädchen verurteilt wurden.

  3. Danke, dass ihr euch mit diesem schwierigen Thema so eingehend befasst habt.

    Was ich in der Diskussion etwas vermisst habe sind die genauen medizinischen Aspekte, die mich eher gegen eine Beschneidung stimmen.

    Die Beschneidung hat auch, wenn die Beschneidung (wie in den meisten Fällen) ohne Probleme verläuft, bleibende medizinische Auswirkungen und Einflüsse auf die Sexualität. Die medizinischen und sexuellen Auswirkungen sind nicht massiv und mögen von einigen Menschen auch für sich persönlich als positiv empfunden werden.

    Der Beschnittene muss in jedem Fall damit leben, ohne eine Wahl gehabt zu haben, der Eingriff ist eben irreversibel.

    In der Wikipedia findet man genaueres: http://de.wikipedia.org/wiki/Zirkumzision

    Ich weiß nicht, ob es im Bundestag eine große Debatte zum Thema geben wird, da sich die Parteien (bis auf die Linke) schon alle für eine Erlaubnis zur Beschneidung ausgesprochen haben. Wie die Position von den Linken zum Thema ist weiß nicht nicht, auf jeden Fall kann man sie schnell in die anti-religiöse Ecke drängen.

    Interessant wird es dann werden, wenn es eine freie, fraktionsunabhängige Diskussion gibt.

    Wie eine Bestrafung bei einer Beschneidung aussehen könnte, wenn man sich dagegen positioniert, wäre mir auch unklar.

  4. Zur These, dass man ohne Beschneidung ausgegrenzt wird:

    Das Argument entfällt, wenn Kinder ALLE nur noch ab einem bestimmten Alter beschnitten werden. Das ist dann halt wie mit dem Führerschein oder Alkohol: vor nem gewissen Alter gehört man noch nicht ganz dazu, aber das geht eben allen so.

    Medizinische Aspekte haben mir auch etwas gefehlt.

    a) Narkose

    Narkose sollte bei B. auf jeden Fall Pflicht sein(wenn man sie denn erlauben will).

    Hierzu wäre eine Expertenmeinung mal gut, aber soweit ich weiß besteht hier( ein prinzipielles Sterberisiko, wenn auch in einem seeehr geringen Bereich(Allergien, usw.).

    Wäre ein Risiko von sagen wir mal 1 Toter/1 Million Beschneidungen noch akzeptabel?

    b) Sexuelle Folgen

    Wikipedia sagt z.B.:

    "Für manche beschnittene Männer ist die Masturbation deshalb nur noch mit Hilfsmitteln (wie z. B. Gleitgel, Babyöl oder auch Speichel) möglich."

    In der Vergangenheit wurde Beschneidung wurde auch gezielt dazu eingesetzt, die Jugendlichen an ihrer "unmoralischen" Selbstbefriedigung zu behindern/das zu erschweren.

    Meine Position dazu:

    Religiöse Beschneidung ja – aber erst, wenn die Kinder so alt sind, dass sie die Folgen abschätzen können.

    Das heißt im Bezug auf sexuelle Folgen: kann man frühestens ab 14 einschätzen, eigentlich erst ab 18. Ich hoffe, dass das auch für die Religionsgemeinschaften ein akzeptabler Kompromiss ist.

    Vorgeschlagene Strafe:

    Verurteilung wie bei jeder anderen (vorsätzlichen) Körperverletzung, im Grunde nichts besonderes. Das heißt:

    – Schmerzensgeld

    – die "Beschneider"(Ärzte, …) müssen natürlich bestraft werden. Bei Ärzten muss Entzug der Zulassung drohen.

    – Gerichte können – wie nach jeder Körperverletzung am eigenen Kind – natürlich das Sorgerecht prüfen* und Jugendämter einschalten

    Wenn die Beschneidung im Ausland vorgenommen wurde, kann zumindest noch der 3. Punkt(Jugendamt+Sorgerecht) angewendet werden.

    Im Podcast wurde behauptet, dass durch ein Gesetz die Diskussion gestoppt wird,

    da bin ich allerdings anderer Meinung.

    Trotz meiner etwas radikaleren Position(im Vergleich zu euch) freue ich mich schon, dass dazu ein Gesetz erlassen werden soll. Das kann dann nämlich – anders als eine Duldung – vor dem Verfassungsgericht verhandelt werden und das wird die Diskussion im Gang halten.

    Bin auf weitere Meinungen gespannt 🙂

    *natürlich werden Gerichte nur in den seltensten Fällen tatsächlich das Sorgerecht entziehen, die prinzipielle Drohung kann aber trotzdem der Abschreckung dienen

  5. Thomas Richter

    Verletzt Beschneidung nicht sowohl das Recht auf körperliche Unversehrtheit als auch das Recht auf Religionsfreiheit des Kindes?

  6. @Thomas Richter

    Ja, aber das ist nur die Hälfte der Geschichte. Der Punkt ist der: kein Grundrecht gilt absolut, wenn es mit anderen kollidiert.

    Hier:

    köperliche Unversehrtheit Kind & Religionsfreiheit Kind vs. (auch religiöses) Erziehungsrecht der Eltern

    Eine autonome Entscheidung über die Religion wird dem Kind aber auch erst mit 14 zugestanden. Das heißt für mich als Laien: auch erst ab dem Alter wird der Punkt der Religionsfreiheit relevant, davor ist das effektiv ein Recht der Eltern, sie entscheiden lt. GG z.B. auch ob das Kind den Religionsunterricht besucht(Art. 7, wird von der Ewigkeitsklausel umfasst -> kann nicht geändert werden). Die Beschneidung hindert das Kind ja nicht am Austritt aus der Religionsgemeinschaft.

    Aber wenn es z.B. eine Glaubensgemeinschaft gäbe, die nur körperlich unveränderte("gottbelassene") Mitglieder aufnimmt, könnte man wohl einen Eingriff in die Religionsfreiheit konstruieren(da der Beschnittene später nicht mehr in diese Religion wechseln kann). Eine Abspaltung der Kirche des Flying Spaghetti Monster könnte zu diesem Zweck gegründet werden …

    Auch körperliche Unversehrtheit kann verletzt werden, wenn es dem "Kindeswohl" dient.

    Triviales Beispiel: Haare schneiden ist Körperverletzung, trotzdem OK. Jede Operation ist Körperverletzung, aber wenn medizinisch notwendig OK.

    Muslime und Juden argumentieren da wohl ca. so: dient dem Kindeswohl, da es das Kind Gott näher bringt und in die Gemeinschaft eingliedert.

    Ich sehe das auch anders, aber nur auf die Verletzung der Rechte des Kindes hinzuweisen reicht eben nicht aus, man muss beide Seiten betrachten.

  7. Thomas Richter

    @ Christian Skubich

    Danke für die interessante Antwort. Den Sätzen zur Religionsfreiheit kann ich zustimmen. Die Argumentation, man müsse im Zusammenhang mit der körperlichen Unversehrtheit beide Seiten betrachten, kann ich nachvollziehen.

    Die schönste Lösung fände ich die, wenn sowohl die Entscheidung für ein religiöses Bekenntnis als auch die Entscheidung für eine Beschneidung die Volljährigkeit voraussetzen würden. Da geht es mir weniger um das Alter als um die Möglichkeit, im Falle einer Entscheidung dagegen ein unabhängiges Leben außerhalb der religiösen Gemeinschaft und ihren Praktiken führen zu können.

    Taufe und Beschneidung von Kindern dienen dazu, ihnen die Möglichkeit der eigenständigen Entscheidung zu nehmen. Diese Praxis lehne ich ab.

  8. @Thomas Richter

    In unserer Gesellschaft wird man für eine solch starke Trennung des elterlichen vom kindlichen Glauben wohl keine Mehrheit finden. Man wird immer von den Werten der Eltern geprägt und für viele ist Religion ein großer Teil davon. Ich wäre schon froh, wenn es wenigstens keine Folgeschäden gäbe.

    Hier noch 2 interessante Links zur Debatte:

    Mittlerweile existiert eine Petition für ein Verbot von religiösen Beschneidungen:
    https://epetitionen.bundestag.de/petitionen/_2012

    Dort findet auch eine Debatte statt, ist aber natürlich insgesamt stark pro Verbot.

    Habe auch einen ziemlich erschreckenden Erfahrungsbericht gefunden. Die Folgen des Eingriffs sind katastrophal:
    http://www.beschneidungsforum.de/index.php?page=T

  9. Heike Friesel

    So viel ich weiß, ist die sogenannte Beschneidung von Mädchen eher als Verstümmelung zu bezeichnen, denn dort wird z,B. die Klitoris entfernt und große Teile der äußeren Schamlippen abgeschnitten. Eine solche Barbarei mit der Entfernung der Vorhaut zu vergleichen hat doch eher wenig Sinn, da der Eingriff bei den Mädchen sexuellen Genuss unmöglich macht, während dies bei beschnittenen Männern nicht der Fall ist.

    Ich kann mir nicht vorstellen, dass es unmöglich ist, diesen Unterschied auch in einem Gesetzestext klar zu formulieren. Es handelt sich um zwei nicht vergleichbare Dinge, die leider immer wieder in einem Atemzug genannt werden.

  10. Johanna

    Hey ihr beiden,

    das thema ist kein leichtes und eure debatte dazu war spannend!

    Am Ende eurer Diskussion, sprecht ihr noch kurz darüber, in wie weit es okay ist zu sagen, meine Gedanken sind wertvoller als deine und darf man den wunsch haben die gedanken andere, die man selber als schlecht z.b. für die Gesellschaft sieht auslöschen. So habe ich das zumindest verstanden und ich glaube auc wahrgenommen zu haben, dass ihr der Meinung seid, dass die Auslöschung andere Gedanken nicht der richtige Weg ist.

    Ich verstehe zum Beispiel nicht, warum es Menschen gibt, die homophob sind, spreche mich absolut gegen den Hass und die Ablehung gegen homosexuelle Menschen aus und bin der Meinung, dass ich mit diesem Gedanken auch vollkommen im Recht bin. Somit sind die anderen im Unrecht und ich möchte diese Menschen von meiner Meinung überzeugen und ihre auslöschen!

    Ist das dann falsch? Ist es falsch, dass ich meine Meinung als die einzig richtige im Bezug auf dieses Thema sehe?

    Tut mir leid, diese Frage hat nicht viel mit dem eigentlichen Thema zu tun und och hoffe ich habe sie verständlich erklären können.

    Liebe Grüße und danke für euren tollen podcast! 🙂

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