Soziopod #019: Konstruktivismus – Die Wahrheit mit Halbwertszeit

Diesmal sprechen Herr Breitenbach und Doktor Köbel über den Lieblings-Ismus von Herrn Breitenbach: Den Konstruktivismus. In der Episode diskutieren die beiden über Wahrheit, Realität und Wirklichkeit und stellen so nebenbei die wichtigen Elemente und Persönlichkeiten des Konstruktivismus und der Kybernetik vor. Und natürlich spielen auch wieder der gute alte Kant und Karl Popper eine sehr wichtige Rolle. Am Ende steigt sogar Karl Popper gegen Heinz von Foerster in den metaphysischen Ring.

Links zur Sendung:

Intro: Heinz von Foerster aus „Das Netz“ von Lutz Dammbeck
Der blinde Fleck inkl. Selbsttest
Outro: Rio Reiser – Alles Lüge
Wie Ludwig Wittgenstein Karl Popper mit dem Feuerhaken drohte
Die Sache mit Goethe und Fichte

Literaturtipps:

Monika Broecker, Heinz von Foerster: Teil der Welt – Fraktale einer Ethik

Paul Watzlawick (Hrg.): Die erfundene Wirklichkeit

Einführung in den Konstruktivismus: Beiträge von Heinz von Foerster, Ernst von Glasersfeld, Peter M. Hejl, Siegfried J. Schmidt, Paul Watzlawick

Ernst von Glasersfeld: Zwischen den Sprachen (Hörbuch)

Heinz von Foerster, Bernhard Pörksen: Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners

Humberto R. Maturana, Francisco J. Varela: Der Baum der Erkenntnis: Die biologischen Wurzeln menschlichen Erkennens

Norbert Wiener: Kybernetik. Regelung und Nachrichtenübertragung in Lebewesen und Maschine

Jean Piaget: Einführung in die genetische Erkenntnistheorie

Ludwig Wittgenstein: Tractatus logico-philosophicus: Logisch-philosophische Abhandlung


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69 Antworten zu „Soziopod #019: Konstruktivismus – Die Wahrheit mit Halbwertszeit“

  1. […] Soziopod: Soziopod #019: Konstruktivismus ? Ernst, Heinz und Karl oder die […]

  2. Was ich bei der Sache mit der Wahrheit noch fragen würde, wäre, für wen eine Wahrheit gilt. Wenn man die nach Popper existierende Wahrheit mal nicht auf einen höher gelegenen, nie erreichbaren unbekannten Punkt projiziert, sondern dies auf die Frage wirft, für wen diese Wahrheit gilt, dann kommt man auf die Antwort: alle. Wer aber ist alle? Der Konstruktivist müsste sagen: Alle ist nur abgegrenzt durch meine eigene Konstruktion. Wenn ich das richtig verstanden habe, arbeitet Popper mit der gleichen Herangehensweise. Auch bei ihm verschiebt sich dieses "alle", wenn eine temporäre Wahrheit durch eine andere temporäre Wahrheit ersetzt werden kann. Warum Popper dann trotzdem noch die übergeordnete Wahrheit in der dritten Ebene braucht erschließt sich mir noch nicht.

    Spannend dazu auch das hier: https://twitter.com/stadhold/status/2487731730913

  3. Patrick Breitenbach

    Übrigens empfinde ich den Begriff "Fiktion" ebenso als schwierig, denn er impliziert, dass es etwas Gegenteiliges zu Wahrheit gibt, also die Wahrheit durch die Hintertür wieder reinlässt. 🙂

  4. Magnus

    Es gibt 4 Wahrheiten. Ihre Wahrheit, unsere Wahrheit, die Wahrheit (für die Geschichtsbücher) und das was tatsächlich passiert ist.

    Kleiner Tip zum Feedback:

    Macht doch einfach alle paar Folgen eine Sendung mit "Fragen und Antworten", das ist vielleicht etwas praktikabler als nur Hörertreffen. Andere Podcaster halten das auch so mit dem Feedback (siehe: http://www.grc.com/securitynow.htm).

  5. Marco

    Den Konstruktivismus empfinde ich als inhärent widersprüchlich, relativistisch und, wenn man ihn ernst nimmt, auch als solipsistisch. Wenn es keine Realität gibt, dann auch kein "wir" oder "uns". Schon das Eingangsargument, dass alles eine Konstruktion sei, ist widersprüchlich: Sinnesreize treffen auf die Netzhaut, werden in elektrische Impulse verwandelt und erst das Gehirn macht daraus ein "Bild". Aha. Wer sagt das? Bestimmte Wissenschaften, die natürlich ihrerseits nur Konstruktionen sind. Die Katze beißt sich in den Schwanz. Für diese Art Argumentation empfehle ich 'mal Austins "Sense and Sensiblia". Klar, vielleicht stimmt der naive Abbildungsrealismus nicht (ich bin mir da aber gar nicht so ganz sicher), aber das da im Wahrnehmungsprozess Interpretation stattfinden können, heißt ja nicht, dass da nichts wäre, dass interpretiert wird und nur die Interpretation vorhanden wäre.

    Es ist diese Neigung in der Philosophie manche Konzepte quasi in Versalien schreiben zu wollen. KONSTRUKTIONEN, WAHRHEIT! Von Förster spricht von der Wahrheit, die Menschen verbrennen würde. Das kann ich nachvollziehen für die WAHRHEIT, die sich jeder Kritik entzieht und metaphysisch und ideologisch daherkommt. Macht man das 'ne Nummer kleiner und sagt, dass wir nicht ohne Aussagen auskommen, die besser und schlechter sein können, die wahr oder falsch sein können, ohne dass man da aber die Anforderungen stellt, dass solche Aussagen irgendwie metaphysisch, aussermenschlich WAHR sein müssen, dann ist man schon eher in der Welt angekommen. Es geht um Wahrheit "für uns", also relativ zu einem Bezugssystem. Soweit gehe ich schon mit, aber das Bezugssystem ist nicht beliebig wechselbar, wie Unterwäsche. Es gibt eben kein ernsthaftes Bezugssystem (mehr), in dem die Erde eine Scheibe ist um die der Rest der Himmelskörper seltsame Bahnen dreht.

    Popper hat da ja einen sehr interessanten Vorschlag gemacht, der ja auch eine gute Last tragen kann (wen auch nicht alles): Lasst uns Regeln bzw. Gesetze machen und sie dann mit der Realität kollidieren. Kracht es, war das Gesetz *falsch*, kracht es nicht, *könnte* es wahr sein.

  6. Patrick Breitenbach

    Wenn der Konstruktivismus einen Wahrheitsanspruch hätte, so würde sich tatsächlich die Katze in den Schwanz beißen. Das ist zugleich Stärke und Schwäche des Konstruktivismus, der für mich persönlich viel mehr eine Haltung, eine alternative Sicht auf die Welt ist, als den absoluten Anspruch zu haben die Welt zu beschreiben wie sie ist.

    Ich denke man sollte durchaus unterscheiden zwischen einer als wahr empfundenen Wirklichkeit, der man dann zustimmen kann oder nicht, und der wahren Wirklichkeit. Da wir aber unterschiedliche Auffassungen haben, werden wir hier nicht zu einer Einigung kommen. Solange wir aber beide nicht gewaltsam darauf beharren diese Einigung und Angleichung der verschiedenen Lebenswirklichkeiten mit Gewalt durchsetzen zu wollen, gibt es aus der Sicht des Konstruktivismus auch gar kein Problem.

    Interessant wird es dann tatsächlich in den Grenzfällen, vor allem solchen, die eine existenzielle Beeinträchtigung von anderen Lebewesen mit sich bringt.

    Was mir denke ich sehr wichtig erscheint ist folgendes: Es gibt Wahrheit, aber die ist nicht automatisch kongruent mit der Wahrheit der anderen und schon gar nicht mit der Wahrheit als solches. Wäre es so, sähe die Welt komplett anders aus, denn dann wüssten wir ja alle was wahr ist und was nicht. So klingt das dann immer als sei der andersdenkende einfach nur ein Idiot oder Bösewicht, weil er nicht die wahre Wahrheit akzeptieren will.

    Als Konstruktivist kann ich also sowohl eine eigene Wahrheit (Überzeugung) haben, ohne dabei darauf zu pochen, dass andere das anders sehen MÜSSEN. Ich kann es also als wahr empfinden, dass das Sehen auf Konstruktion basiert, weil die Argumente für mich schlüssig sind, ich weiss aber noch lange nicht ob das WIRKLICH auch so ist. Genau an diesem Punkt sind wir uns ja nicht einig und es gibt keinen wissenschaftlichen Beweis der uns die Orientierung gibt, ob Sehen nun ein exaktes Abbild ist oder eine Konstruktion durch das Gehirn. Es bleibt eine Blackbox und die einzige Taschenlampe ist die Fähigkeit Theorien oder Geschichten zu entwickeln, die ein bestimmtes Phänomen beschreiben.

    Da meine Gegenüber in meiner Wirklichkeit "echt" sind, gibt es natürlich auch ein "wir". Ob das aber wirklich so IST, weiss niemand. Wenn wir es wüssten, würde sich die Wissenschaft in Luft auflösen, denn sie hätte keine Probleme mehr, keine unentscheidbaren Fragen mehr, die es zu klären gilt. Daher leuchtet mir ein, dass Wissenschaft eine Konkurrenz der Theorien ist. Die Frage ist nur, ob wir den Schritt wagen das zu synthetisieren oder ob es immer ein Kampf bis zum Umfallen sein muss.

    Letztlich kann ich gut nachvollziehen, dass der Konstruktivismus viele Wissenschaftler in den Wahnsinn treibt, vor allen denen, die an eine absolute Wahrheit glauben. Das ist in der Tat ein Ouroborus.

    Danke für den Input, der sicherlich starken Einfluss hat auf die jeweilige Wirklichkeit der Leser. Es hält alles in Bewegung.

  7. Mario

    In meinen Augen argumentiert ihr (und vielleicht ja auch die Konstruktivisten) falsch herum bzw. vermischt verschiedene Kategorien. Gut lässt sich das an eurem Beispiel von dem weissen Schrank sehen.

    Ob der Schrank für euch unterschiedliche Farben hat oder nicht, bzw. ihr das gleiche mit "weiß" meint, kann kein Argument für oder gegen eine objektive Wahrheit sein. Der Schrank hat eine messbare Eigenschaft, nämlich die, wie viel Licht er mit welcher Wellenlänge reflektiert. Das ist sozusagen die Wahrheit des Schrankes. Eure Hirne verarbeiten das irgendwie, das ist ähnlich, aber wohl nicht identisch. Ist auch egal, weil ihr euch darauf einigt, das ihr eure Wahrnehmung des Schrankes "weiß" nennen wollt. Und erst an der Stelle entsteht diese Abstraktion. Und daher kann ich nicht argumentieren, das es keine Wahrheit gibt, weil meine Abstraktion eventuell verschiedene physikalische Wirklichkeiten bezeichnet, weil der Abstraktion ja gerade die Einigung, das sie dasselbe bezeichnet zugrunde liegt.

    Dasselbe gilt für das Bild, was erst im Hirn entsteht. Na wo denn sonst? Es gibt kein Bild von irgendetwas. Es gibt Licht, was auf die Netzhaut trifft, dort einen chemischen Prozess auslöst, der einen elektrischen Prozess auslöst, der einen chemischen Prozess auslöst. Darüber lassen sich schlecht Gedichte schreiben, daher sagen wir lieber Bild. Mit der Tatsache ob das was mit Wahrheit zu tun hat oder nicht, hat das in meinen Augen aber nichts zu tun.

  8. Patrick Breitenbach

    Auch eine sehr gute Idee! Danke!

  9. Patrick Breitenbach

    Bei dem Beispiel ging es eher um die Realität und Wirklichkeit, aber auch um objektive Wahrnehmung. Klassische Sprachproblematik. Ist aber doch eng mit Wahrheitsbegriff verknüpft, oder?

  10. Nils

    Natürlich hat das etwas mit dem Wahrheitsbegriff zu tun. Um die Frage nach Wahrnehmung, Wirklichkeit und Wahrheit ging es ja gerade.

  11. Puddingpulver

    Mir ist noch aufgefallen, dass Wahrheit auch immer eine gesellschaftliche Dimension hat. Das was als Wahr gilt wird ja oft von der Gesellschaft definiert, gerade in Bezug auf Geschichte gibt ja meistens der Sieger die Wahrheit vor. Ich denke das es sehr schwer fällt aus der gesellschaftlichen Wahrheit auszubrechen und eine eigene Wahrheit zu definieren, das endet meistens in einer Verschwörungstheorie. Kurz gesagt, die Wahrheit wird nicht nur durch einen selbst erzeugt, sondern maßgeblich von der Gesellschaft in der wir leben vorgegeben.

    Ein Hörer Treffen würde ich gut finden.

  12. Patrick Breitenbach

    Guter Punkt. Das könnten wir nochmal gesondert erörtern. Also so Fragen wie: Was ist mit den Memen, also den Gedanken die medial archiviert sind? Sie sind ja losgelöst von Menschen und wirken dennoch so als spreche der Urheber mit uns. Spannende Dimension. Muss ich mal länger darüber nachdenken, weil ja auch gerade für Netzkultur relevant. Danke für den Input.

  13. "Die Frau"

    Habe mir gerade die wirklich gelungene neue Folge angehört und fand es trotz der Länge von fast zwei Stunden erstaunlich kurzweilig

    Eine Anmerkung noch: Glasersfeld hat Piaget nie persönlich kennengelernt- aber das tut ja nichts zur Sache (und: ist das überhaupt wahr?)

    Ansonsten: wenn ihr gerne mal einen externen Podcast machen wollt, buche ich euch gleich mal für meine Schüler!

    Ich freu mich auf den nächsten Podcast- dann hoffentlich mal wieder hier in Würzburg…

  14. jEN

    Gewohnt hervorragender Inhalt! Allerdings ist diese Folge sehr leise – vielleicht kann sie ja nochmal durch Auphonic gejagt werden… 🙂

  15. Patrick Breitenbach

    Danke sehr. Auch für den Techniktipp. Probiere ich mal aus.

  16. NAME

    Zunächst auch danke, dass es weitergeht. Bin zufällig vor kurzem auf den Soziopod aufmerksam geworden und höre offenbar gern genug zu, dass ich nach dem Durchhören der bisherigen Episoden schon leichte Entzugserscheinungen hatte.

    Weniger audiotechnisch, jedoch webseitentechnisch möchte ich nochmal den Wunsch nach einer Archivseite äußern, auf der alle bisherigen Folgen in einer Liste aufgeführt und verlinkt sind. Ich hatte schonmal einen Kommentar diesbezüglich geschrieben, bevor diese neue Episode erschien, doch da er bislang noch nicht freigeschaltet wurde, weiß ich nicht, ob er auch angekommen ist. Derzeit ist es äußert unpraktisch, bespielsweise zu einer zurückliegenden Folge zu navigieren, falls jemand das vorhätte, der die Seite gerade entdeckt oder sonst einen Grund dafür hat.

  17. Patrick Breitenbach

    Hallo,

    der Kommentar ist scheinbar irgendwie durchgerutscht. Momentan haben wir ja in der rechten Spalte alle Folgen komplett aufgelistet. Die Seite wird aber auch nach und nach umgebaut. Dann wird das Navigieren auf alte Folgen noch übersichtlicher werden. Danke also für das Feedback!

  18. Patrick Breitenbach

    Habe es nun mal durch Auphonic gejagt. Ist es jetzt besser? Danke nochmal für den Tipp!

  19. Larissa

    Ich finde es übrigens erstaunlich, dass der Konstruktivismus auch in der Welt der Literatur so verbreitet ist. Austen kann man naiv nennen (Kommentar weiter oben), genauso richtig finde ich aber auch zu sagen, dass sie komplizierte Zusammenhänge für alle Menschen verständlich und auf ästhetische Art und Weise aufzeigt. (Und natürlich extrem romantisch und träumerisch, was aber aufgrund ihrer Biografie verständlich ist.)

    Ich hab vor ein paar Tagen zufällig dieses Gedicht von Hermann Hesse gelesen, Konstruktivismus aus der Sicht eines Poeten. 🙂

    Die Welt unser Traum

    Nachts im Traum die Städt´ und Leute,

    Ungeheuer, Luftgebäude,

    Alle, weißt du, alle steigen

    Aus der Seele dunklem Raum,

    Sind dein Bild und Werk, dein eigen,

    Sind dein Traum.

    Geh am Tag durch Stadt und Gassen,

    Schau in Wolken, in Gesichter,

    Und du wirst verwundert fassen:

    Sie sind dein, du bist ihr Dichter!

    Alles, was vor deinen Sinnen

    Hundertfältig lebt und gaukelt,

    Ist ja dein, ist in dir innen,

    Traum, den deine Seele schaukelt.

    Durch dich selber ewig schreitend,

    Bald beschränkend dich, bald weitend,

    Bist du Redender und Hörer,

    Bist du Schöpfer und Zerstörer.

    Zauberkräfte, längst vergeßne,

    Spinnen heiligen Betrug,

    Und die Welt, die unermeßne,

    Lebt von deinem Atemzug.

  20. Patrick Breitenbach

    Danke Larissa.

    In einem der von mir verlinkten Bücher gibt es auch ein Essay zum Konstruktivismus in der Literatur.

    Ich glaube den ersten wirklich bedeutsamen Kontakt mit dem Konstruktivismus hatte ich durch Hesses "Steppenwolf". Die Dekonstruktion und Rekonstruktion des Harry Hallers im magischen Theater.

    Ich denke die Kunst an sich ist eine Art gelebter Konstruktivismus. Mit Sprache, Handlungen, Bildern und Tönen formt man eine ganz eigene Realität. So habe ich das bisher noch nicht gesehen.

  21. Larissa

    Interkontextuelle Bezüge sind echt toll, danke für den Lit.Tipp! Ich werde auf jeden Fall mal reinschauen.

    Das mit der Kunst sehe ich auch so und finde aus dem Blickwinkel betrachtet macht sie noch mehr Spaß. 🙂

    Beim Steppenwolf werd ich mal drauf achten, er wartet sowieso schon darauf, von mir gelesen zu werden.

  22. Jörg Freidrich

    Wahrheit und Wirklichkeit, eine andere Herangehensweise:

    Die Worte einer Sprache basieren auf Vereinbarungen über als gemeinsam ähnlich vermutete Sinneseindrücke. Bewegt man sich im Rahmen dieser Vereinbarungen, dann kann man über den Wahrheitsgehalt einer Aussage/Information klare Aussagen treffen, bzw. sich auf solche einigen. Adjektive „absolut“ oder „subjektiv“ haben hier eigentlich keinen Platz. Im Gegensatz dazu setzt sich eine „Wirklichkeit“ aus vielen Aussagen und Informationen zusammen. Sind diese für ein Individuum wahr, so handelt es sich um eine Wirklichkeit dieses Individuums. Da man sich fast nie die Mühe macht, Aussagen und Informationen als Bestandteile einer Wirklichkeit hinsichtlich der gemeinsam getroffenen Vereinbarungen zu analysieren, ist es nicht verwunderlich, dass eine Wirklichkeit immer subjektiv ist.

  23. Jörg Friedrich

    Mit dem Konstruktivismus habe ich ein Problem. Was ändert sich durch ihn? Wenn ich davon ausgehe, dass alles aber auch alles von mir konstruiert ist, ändert sich durch diese Erkenntnis nichts für mich.

    Was ich fühle, fühle ich genauso.

    Was ich als wahr und als falsch ansehe, sehe ich genauso.

    Wenn ich intolerant gegenüber anderen bin – was hoffentlich nur sehr wenig der Fall ist 😉 – bleibe ich genauso intolerant wie vorher.

    Es ist ein bisschen so, wie wenn ich sage "es gibt die Welt". Ich habe im Grunde nichts über die Welt gesagt, ausser dass sie existiert. Anzunehmen sie existiere nicht, bringt uns nicht weiter, denn mit wem sollte ich dann kommunizieren. Wenn ich die Existenz der Welt konstruiert habe, ändert sich wiederum nichts, denn um zu kommunizieren brauche ich sie.

    Anders formuliert, was wäre denn die Alternative zum Konstruieren? Das Sein? Im Grunde finde ich keinen Gegensatz. Dass der Relativismus oder Solipsismus als Gegensatz angeführt wird, kommt mir konstruiert vor (welch Wortwitz).

    Persönlich bin ich der Auffassung, dass man in einem System mit dem Repertoire der dort vorhandenen Möglichkeiten, keine Aussagen über das System machen kann. Um eine Aussage "über" ein System zu machen, bräuchte man eine Aussensicht (mit auf diese Weise erweitertem Repertoire), z.B. auch um es insgesamt zu überblicken. Im System kann man nie sicher sein, Dinge zu übersehen oder noch nicht erreicht zu haben.

    Vielleicht ist diese Sicht der Beleg für die Zweifelhaftigkeit alle Ismen.

  24. Jörg Friedrich

    Der Podcast war irgendwie zu leise diesmal. Musste mein iPhone voll aufdrehen und bei Gegenwind auf dem Fahrrad, hörte ich trotzdem immer wieder nichts. Dies war bei den anderen Podcasts nicht so…

  25. Patrick Breitenbach

    Rein pragmatisch sehe ich im Konstruktivismus enorme Chancen. Zum einen steckt für mich sehr stark das Thema der Eigenverantwortung drin. Ich selbst bin für meine Welt verantwortlich. Das verändert die Einstellung zu mir selbst und meiner Umwelt radikal.

    Desweiteren wenn ich davon ausgehe, dass meine Wirklichkeit nicht zwingend mit anderen übereinstimmt, so kann ich mit Neugierde auf andere Wirklichkeiten zugehen, d.h. ich muss nicht immer zwanghaft beim "ich habe aber Recht!" verharren, was wiederum enormen Einfluss auf Kommunikation hat. Nicht umsonst hat der radikale Konstruktivismus mit Watzlawick einiges im Bereich der Psychotherapie verändert. Es entstand z.B. die systemische (Familien-)Therapie.

    Da ich Dozent an einer Hochschule bin, in der der Konstruktivismus eine sehr wichtige Rolle spielt, ist der Bezug zur Wirtschaftswissenschaft ebenfalls pragmatisch hochinteressant. Die klassische Wirtschaftslehre geht vom Bild des Homo Oeconomicus aus, einem rein rational denkenden Wesen, in einem System aus objektiv erfahrbaren Regeln. Wirtschaft war bisher sehr zahlengetrieben, die Sprache der Rationalisten. Wenn man nun davon ausgeht, dass wirtschaftliche Zusammenhänge ebenfalls konstruiert sind, ergibt sich ein völlig neues Bild. Die Wirtschaftswissenschaft ist damit sehr viel näher an Kultur- und Sozialwissenschaft als man das zuvor vielleicht wahrhaben wollte.

    Zum Schluss noch eine ganz persönliche Bemerkung: Der Konstruktivismus hilft mir eine Situation immer aus mehreren Perspektiven zu analysieren. Wenn man den Begriff der objektiven Wahrheit ablegt, eröffnen sich mir jedenfalls sehr viel mehr Optionen, die zum Teil auch tatsächlich parallel koexistieren können.

    Allein wie der Konstruktivismus die Kommunikation und die Sprache einordnet ist für mich persönlich extrem wichtig. Sprache wird nun hinterfragt, Kommunikation wird behutsamer ausgerichtet, weil man ja weiß, dass man sich seine eigene Welt durch Sprache erschafft.

    Nur ein paar von vielen Beispielen, warum der Konstruktivismus für mich persönlich auch erstaunliche Alltagstauglichkeit besitzt. Aber letztlich liegt es an jedem selbst, was er daraus konstruieren will. 😉

  26. Nils Köbel

    Die Zirkularität ist sicher ein Hauptproblem des Konstruktivismus. Eine interessante Frage (die wir gar nicht angesprochen haben) ist etwa, wie Rechtsprechung überhaupt möglich sein soll innerhalb des radikalen Konstruktivismus. Dennoch: Dass unsere Urteile konstruktiven Charakter haben, ist unbestreitbar. Gerade deshalb ist der Diskurs so enorm wichtig. Nur wenn Meinungen vernunftgeleitet kritisch miteinander geprüft und diskutiert werden, kann über eine einfache Meinungsvielfalt hinausgedacht werden. Um die Selbstumkreisungen aufzubrechen brauchen wir m.E. daher die "regulative Idee der Wahrheit" im Sinne Immanuel Kants.

  27. Patrick Breitenbach

    1. Der Konstruktivismus ist im Gegensatz zur absoluten Wahrheit nicht etwas, was erst irgendwie hergestellt werden muss. Es ist kein Ideal, dass man erst erreichen muss, sondern ist der Versuch die Welt zu beschreiben wie sie jetzt ist. Daher leben wir mittendrin und mit ihr auch unsere Rechtssprechung.

    2. Rechtssprechung ist – wie du bereits angedeutet hast – durch und durch konstruktivistisch. In den USA entscheiden 12 Menschen über die Wahrheit einer möglichen Tat. Die Spielfiguren im Drama Justiz haben klare Rollen. Staatsanwälte wollen maximale Strafen, Verteidiger das Minimum. Es geht dann in erster Linie auch nicht darum möglichst präzise die Wahrheit darzustellen, sondern die 12 Geschworenen so zu beeindrucken, dass sie die jeweilige Wahrheitshypothese annehmen. Dazu gibt es umfassende Auswahlprozesse, damit am Ende für beide Seiten der passende Geschworene sitzt.

    Anderes Beispiel: Sind Staaten mit einer Scharia dann Staaten, die bewusst gegen die Wahrheit handeln? Ich glaube nicht, denn sie formulieren die Gesetze mit Gott begründet, also der absoluten Wahrheit. Komisch, dass wir zum Teil mit den Wahrheiten nichts anfangen können. Sie selbst würden dafür Gewalt anwenden. Sind wir dann automatisch besser als diese Staaten? Mit dem Wahrheitsbegriff schon, nur muss uns dann der kriegerische Konflikt als Produkt daraus bewusst werden.

    Anderes Beispiel: Das Gesetz zur Bestrafung von Homosexualität, war das nun mal wahr oder nicht?

    Oder einigen wir uns letztlich nicht auf eine temporäre Wahrheit mit Halbwertszeit, ich dachte bis zu diesem Punkt wärst du auch längst mitgegangen. 🙂

    Natürlich gibt es eine Wahrheit. Die konstruiert jeder für sich und wir teilen diese Wahrheiten oder eben nicht (dann gibt es Konflikte). Aber die oberste Instanz gibt es nicht.

    Ich glaube wir brauchen ethische Überzeugungen, keine Frage. Aber eine Wahrheit, die so dermaßen als Alibi verwendet wird und dabei gleichzeitig so vielfältig gebogen wird, brauchen wir meiner Ansicht nach, als radikaler Konstruktivist, nicht.

    Trotz Wahrheitsbegriff gibt es immer noch Verbrechen oder vielleicht gerade deswegen?

    Ich glaube jeder Mensch kann eine innere Ethik entwickeln, die – da bin ich dann auch wieder ganz bei Kant – aus sich selbst heraus entwickelt werden kann. Die Wahrheit von außen hemmt diese Entwicklung. Denn allein der Gruppendruck oder die pluralistische Ignoranz <a href=\"http:// (http://de.wikipedia.org/wiki/Pluralistische_Ignoranz),\“ rel=\“nofollow\“> <a href="http://(http://de.wikipedia.org/wiki/Pluralistische_Ignoranz),“ target=“_blank“>(http://de.wikipedia.org/wiki/Pluralistische_Ignoranz), hindert uns an dieser Entwicklung einer individuellen Ethik. Womit wir wieder bei Moral und Ethik wären und deren klaren Aufteilung.

    Noch ein Wort zur Zirkularität: Gerade darin steckt die Chance. Zu erkennen, dass alles was ich tue am Ende Konsequenzen für alle anderen hat. Ethischer geht es kaum. Aber auch hier zeigt sich wunderbar der Konstruktivismus: Während ich Zirkularität als etwas sehr wichtiges empfinde, ist er für dich ein Problem. Was ist nun wahr? Oder ist es am Ende nicht beides zugleich? Nämlich völlig abhängig davon aus welcher Perspektive wir da argumentieren?

  28. Patrick Breitenbach

    Vielleicht nochmal runterladen. Habe vorgestern mit neuer Version ersetzt.

  29. Jörg Friedrich

    Es liegt nahe, eine Eigenverantwortung aus dem Konstruktivismus abzuleiten, auf den

    ersten Blick. Nur wem gegenüber, wenn doch alles, dem ich verantwortlich gegenüber

    sein könnte, konstruiert ist. Ist nicht sogar das Gegenteil der Fall, dass mir der/das

    Andere egal sein kann, weil es ist ja „nur“ konstruiert? Wie leite ich Ethik und Moral aus

    Konstruiertem ab?

    Das mit der Neugierde auf die Konstruktionen des Gegenübers kann ich nachvoll-

    ziehen. Das habe ich aber auch, wenn ich jedem Menschen einfach mit Respekt und

    einer gewissen Ästhetik begegne. Da ich keine ethische Haltung aus dem Konstruk-

    tivismus ableiten kann (Notwendigkeit zur Ästhetik noch weniger), kann ich diese Ein-

    stellung natürlich nicht begründen.

    Leider verstehe ich das mit den WiWis überhaupt nicht. Denn die „Wirtschaft“ ist als Be-

    griff per se konstruiert. Aber das war und ist sie automatisch. Vielleicht fehlt mir da doch

    irgendein Bindeglied des Konstruktivismus zu solchen „Anwendungen“….

    Ihre persl. Anmerkung kann ich nur begrüßen. Um diese bemühe ich mich eigentlich

    auch. Bei mir war jedoch jemand anderes ausschlaggebend:

    Vom Heiligen Augustinus ist folgendes Wort überliefert:
„Im Notwendigen – Einheit,
im

    Fraglichen – Freiheit,
in allem aber: Liebe.”

    Beste Grüße

    JF

  30. Jörg Friedrich

    Völlig klar, Gesetze und deren Begründung sind konstruiert. Letztlich bilden Sie aber

    einen Minimalkonsenz auf den man sich „par ordre du mufti“ oder demokratisch

    „geeinigt“ hat. Dies im Versuch die „Gemeinsamkeiten“ der Konstruktionen Vieler zu

    konzentrieren. Beide Kräfte wirken jedoch zirkular auf jede individuelle Konstruktion der

    Wirklichkeit zurück. Diese bedürfen der ständigen Anpassung.

    Das dürfte auch der tiefere Grund für die „Geschworenen“ sein, sie sollen die

    Unzulänglichkeiten des aus fremden Kontexten konstruierten Rechtssystems

    kompensieren.

    Dass dies ein Problem des Konstruktivismus ist, da gebe ich Herrn Köbel recht. Denn

    für meinen Geschmack steht beim Konstruktivismus das Individuum zu sehr im

    Vordergrund. Es versteht sich zu wenig als Teil des Ganzen und sträubt sich (weil

    anstrengend) gegen die Anpassung.

    Ein Hauptproblem von uns Menschen ist, dass wir zu wenig „kollektiv“ denken, aus

    Unvermögen, aus mangelnder Bildung heraus.

  31. Patrick Breitenbach

    Konstruktion ist für mich persönlich nicht gleichbedeutend mit einer "Illusion", also etwas was nicht vorhanden ist oder eine Einbildung.

    Verfolgt man aber tatsächlich den solipsistischen Weg (nur das Ich existiert) selbst dann macht die Verantwortung für die anderen Menschen Sinn, denn die wären ja ein Teil von mir selbst.

    Ich kann das textlich schwer beschreiben und ich möchte auch nicht ins missionarische abdriften, daher kann ich an der Stelle sagen: Für mich ist die Eigenverantwortung der erste Schritt zur Verantwortung gegenüber anderen Menschen. Denn es geht dabei auch um die Frage ob ich Spielball der Gesellschaft bin, was meiner Meinung nach auch die Motivation dämpft für andere Menschen Verantwortung zu übernehmen.

    Un natürlich kann man das alles auch ohne Konstruktivismus tun. Er ist ein möglicher Schlüssel für das Schloss. Keine Religion, keine Anleitung, lediglich ein Angebot, was für manche SInn macht, für andere eben nicht. Das ist völlig okay.

    zu WiWi: Das ist wunderbar, dass sie die WiWi bereits als Konstrukt begreifen. Wenn man sich in der Politik umschaut macht es nicht immer den Eindruck. Da geht u.a. die Geschichte vom freien Markt herum und wird als zum Teil unhinterfragte Handlungsgrundlage übernommen. Schauen Sie sich einfach mal ein paar verschiedene BWL-Lehrbücher an, dann erahnen sie vielleicht wovon ich spreche. Da gibt es jede Menge Formeln und lineare Kausalitäten rund um Angebot und Nachfrage. Der Mensch wird zu einer berechenbaren Konstante. Als Buchtipp sei Sedlaceks "Ökonomie von Gut und Böse" empfohlen. Der beschreibt diese Krux ganz gut.

    Danke für Ihren anregenden Kommentar und das wunderschöne Zitat.

  32. Patrick Breitenbach

    So wie ich es verstehe schließt der Konstruktivismus das Kollektiv nicht aus. Würde sogar ganz anders argumentieren. Dadurch dass man andere Lebenswirklichkeiten nachvollzieht und zunächst als gegeben sieht, hat man die Chance den demokratischen Diskurs noch intensiver und feinfühliger zu führen. Ich betone "Chance".

    Der Mensch unterliegt sehr alten biologischen Programmen. Wir orientieren uns immer noch an den Überlebensmechanismen. Feinde werden bekämpft, man stellt sich tot oder man unterwirft sich. Wenn zwei verschiedene Lebenswirklichkeiten (fremde Kulturen) aufeinanderprallen entsteht sehr schnell Feindschaft. Mit dem Konstruktivismus im Gepäck könnte man sich bewusst machen, dass wir die Konstruktion gemeinsam teilen. Dass weder ich noch mein Gegenüber absolutes Recht haben, sondern dass wir das stets gemeinsam aushandeln müssen.

    Also um es nochmal zu betonen: Nicht nur die eigene Wirklichkeitskonstruktion ist von Bedeutung, sondern natürlich auch die der anderen Menschen, mit denen ich interagiere. Der radikale Konstruktivismus geht davon aus, dass wir uns nur durch andere wahrnehmen können. Ich empfinde die Zirkularität als etwas verbindendes nicht als etwas getrenntem.

    Man kann es also so und so sehen. Man muss es aber nicht. Das sind unentscheidbare Fragen, die tatsächlich nur das Individuum entscheiden kann und jeder kann sich überlegen ob er sich dem anschließt oder nicht, ob er selbst darüber nachdenken will oder die Gruppe entscheiden lässt.

    Eine Frage interessiert mich noch in dem Zusammenhang: Was ist für Sie "kollektiv(er)"? Wer ist für sie "die Menschen"? Es gibt ja etliche Beispiele für kollektivere Kulturen (China) im Gegensatz zu individualistischen. Die Frage meine ich auch gar nicht aggressiv oder ablenkend, sondern zeigen vielleicht auf, wie schwierig es ist solche allgemeinen Aussagen zu treffen. Oder täusche ich mich da?

    Ansonsten bitte gerne weiter kritisieren. Mir machen diese Überlegungen große Freude.

  33. Nils Köbel

    Ich finde die alte Frage nach Individuum, Gesellschaft und Recht sehr interessant und hochkomplex. Tiefschürfend hierzu: Jürgen Habermas: "Faktizität und Geltung" – wie werden Gesetze begründet?

  34. @Mario: Farben sind keine Wellenlängen, sondern subjektive Wahrnehmungen. Rot ist nicht ein bestimmter Wellenbereich, sondern dessen von Auge und Hirn interpretierte Ergebnis. Weiß ist auch eine Farbe, da es durch den Reiz bestimmter Sehzapfen entsteht. Deshalb kann ein weißer Schrank gar keine objektive wahre Farbe haben.

  35. Kerstin

    Tolle Folge. Was mir als Biologin intuitiv seit der Physiologie-Vorlesung klar war (die Welt in unserem Kopf ist eine andere Welt als die der Fledermaus, die sie u.a. mit ihrem Sonarsinn wahrnimmt – und doch bildet keine "die wirkliche Wirklichkeit" ab) wurde philosophisch unterfüttert, sehr interessant. 🙂

  36. Alexander Hüber

    Hochinteressantes Thema, leider sehr leise. Trotz voller Handylautstärke wart ihr auf der Straße über die Kopfhörer teilweise kaum bis gar nicht aufzunehmen. Werde mir die Folge nochmal anhören.

  37. Patrick Breitenbach

    Andere Möglichkeit: Folge lokal löschen und nochmal laden. Haben später eine zweite, lautere Version online gestellt.

  38. Markus

    Wie immer eine gelungene Sendung, euer Format sagt mir sehr zu. Bitte weiter so 😉

    So… Nach dem üblichen "Anfangsgedusel" noch etwas zur Thematik: Es wurden ja schon Berger&Luckmann angesprochen, die ein sehr gut verständliches Buch zum Thema geschrieben haben (ihr solltet es vielleicht mit in eure Linkliste packen?). Auch der "Symbolische Interaktionismus" von Herbert Blumer ist noch empfehlenswert und stützt die Aussage von Dr. Köbel, dass Wirklichkeit in der Interaktion hervorgebracht/hergestellt wird. Hier wird – verkürzt gesagt – davon ausgegangen, dass es Objekte (soziale, physische und abstrakte) in der "Welt" gibt, deren Bedeutung gemeinsam in der Interaktion ausgehandelt wird. [Btw: Auch Luhmann stützt sich darauf und auf den Konstruktivismus ;)]

    Für eine Vertiefung lohnt es sich auch in die zwei Bände der "Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen" (1973) zu lesen, die sich dort mit "Alltagswissen, Interaktion und gesellschafltiche Wirklichkeit" befassen; besonders Band 1.

    Freue mich auf die nächste Folge!

  39. Nils Köbel

    Danke für die Ergänzung. Berger/Luckmann versuchen, den angesprochenen 'Solipsismus' zu überwinden, ebenso der symbolische Interaktionismus. In den radikalen Spielarten bei Foucault und Derrida, und in gewisser Weise auch bei Luhmann, wird dann jedoch das autonome Subjekt ganz geleugnet, was ich auch problematisch finde. Vorbildlich für einen ausgeglichenen Weg finde ich in diesem Bereich immer noch Habermas mit seiner Theorie des kommunikativen Handelns.

  40. Patrick Breitenbach

    Zum Thema "autonomes Subjekt" fiel mir das hier ein:

    http://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/mikrob

    http://www.scientificamerican.com/article.cfm?id=

    Der Mensch als nicht nur als nicht-triviale Maschine, sondern als komplexes Ökosystem, als Konglomerat aus zigtausend verschiedenen Organismen. So löst sich am Ende sogar das stabile Ich auf, denn ein Ich ohne Billionen anderer Organismen wäre wahrscheinlich gar nicht möglich.

  41. Christoph

    Was ich an eurem Podcast besonders schätze, ist euer Stil und eure Haltung gegenüber den Themen. Ihr habt beide Überzeugungen, könnt aber auf angenehm undogmatische Weise davon ein Stück weit zurücktreten.

    In dieser Ausgabe ist mir aufgefallen, dass ein paar Mal der Name 'Luhmann' fällt und sein Werk auch ansatzweise eingeordnet wird. Allerdings – und das sagt ihr ja auch selbst – ist euch beiden eher unklar, wie Luhmanns Systemtheorie funktioniert. Ich muss (und will) mich gerade damit beschäftigen und fühle mich immer noch ein wenig wie der Ochs vorm Berg.

    Zu Einordnung von Luhmann hinsichtlich Erkenntnistheorie:

    Ich lese gerade "Niklas Luhmann. Zur Einführung" von Walter Reese-Schäfer (Junius Verlag 1999). Darin heißt es auf S. 21 im Unterkapitel "Es gibt Systeme", dass sich Luhmann darum bemüht habe, die "seiner Ansicht nach unproduktive Kontroverse zwischen Realismus und Konstruktivismus" aufzulösen. Das Beobachten selbst, sagt er, ist ein realer Vorgang. Das Problem für eine Erkenntnistheorie liegt nicht in der Frage, ob die Welt real oder konstruiert ist, sondern besteht für Luhmann im "blinden Fleck" einer jeden Operation "Beobachten". Die Operationen sind real und können somit auch selbst beobachtet werden, allerdings muss um zu beobachten immer eine Unterscheidung getroffen werden. Diese Unterscheidung lässt sich aber selbst nicht mitbeobachten, so entsteht der blinde Fleck.

    Bei Luhmann gibt es zudem keine Hierarchie des Erkennens. Die Beobachtung einer Beobachtung, also die Reflexion, ist keine erkenntnistheoretisch höherwertige Operation, sondern unterliegt der gleichen Problematik.

    Luhmann versucht die alte Kontroverse zu umgehen, was mir recht pragmatisch erscheint. Ich sehe auch keinen großen wissenschaftlichen Wert darin das Vorhandensein einer Welt oder Umwelt zu leugnen. Allerdings finde ich interessant, wie diese Welt beschrieben wird, wie sie funktionieren soll.

    Ich finde, man kann beides miteinander kombinieren:

    Die Welt ist da.

    Und sie ist eine "bloße" Konstruktion.

    Allerdings entsteht oder vergeht die Welt nicht mit unserer Konstruktion, sondern sie konstruiert sich selbst in ähnlicher Weise, wie wir sie für uns konstruieren.

    Ich hoffe, ich habe hier etwas verständliches geschrieben, denn ich denke, das würde eine eine Alternative liefern für die – in der Tat unproduktive – Kontroverse. Es gibt nicht die Welt an sich, die wir bloß nicht erkennen können, sondern diese Welt kann sich selbst nur begrenzt erkennen, gerade auf die Weise, wie sie sich selbst darstellt oder einem ihrer Elemente (z.B. uns selbst).

    Vielleicht meint genau das auch Luhmann…

    Zum Abschluss: Bitte macht doch wirklich mal eine Sendung zu Luhmann und ladet euch dafür jemanden ein, der sich länger damit beschäftigt hat und für euch die Luhmannschen Textwüsten in Worte kleidet. Am besten holt euch einen richtigen Luhmannianer und dann können unterschiedliche Weltsichten – natürlich ganz gepflegt – aufeinanderprallen.

    Ich finde, langsam wird es Zeit 🙂

  42. Jörg Friedrich

    Sorry, wenn ich hier Chaos produziere. Hatte gerade drei Links zum Thema Wirklichkeit/Wahrheit gepostet. Und die waren plötzlich wieder weg.

    Sprache spielt eine wesentliche Rolle in unserer Vorstellung von Wirklichkeit:
    http://www.dradio.de/dlf/sendungen/essayunddiskur

    Direkt zum Thema Wirklichkeit:
    http://www.swr.de/swr2/programm/sendungen/wissen/

    EXTRA FÜR HERRN BREITENBACH:

    "Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners"

    Der Physiker Heinz von Förster und die Realität
    http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/feature/18

    Diesmal mit richtigem Namen und besten Grüßen

    JF

  43. Christoph

    Dass Luhmann das autonome Subjekt leugnen würde, ist – soweit ich das beurteilen kann – nicht ganz zutreffend. Vielleicht meinst du das mit "in gewisser Weise".

    "In gewisser Weise" radikalisiert er sogar das Konzept, in dem seine psychischen Systeme als selbstreferentiell geschlossen entwirft. Autonom ist ein solches System in dem Sinne, dass es sich selbst (seine Elemente, die Gedanken) reproduziert (Autopoiesis) und sich permanent durch Abgrenzung von seiner Umwelt definiert. Äußere Einflüsse können nur durch systemeigene "Übersetzungen" wirksam werden. Das geht schon ein wenig in Richtung Solipsismus.

    "Personen" als "Menschen aus Fleisch und Blut" gibt es bei Luhmann nur als kommunikatives (soziales) Konstrukt. Er trennt strikt das organische System (den Körper und seine Subsysteme) vom psychischen System (besteht nur aus und durch psychische Operationen).

    Ein weiterer Punkt zum Autonomieproblem wäre, dass es, auf Grund der selbstreferentiellen Geschlossenheit der Systeme, prinzipiell unmöglich ist, anderen seinen Willen aufzuzwingen (so sieht man das auch in der systemischen Therapie). Das mag man als Einschränkung der Handlungsfreiheit (Autonomie) bezeichnen, es ist aber lediglich die Konsequenz davon, dass alle "Subjekte" autonom (selbstreferentiell geschlossen) sind.

  44. […] den Konstruktivismus, wie ich ihn wahrnehme, zu beschreiben. Empfehlen kann ich auf alle Fälle die Soziopod-Folge zum Konstruktivismus. Ob das dann schon ausreicht, weiß ich nicht, ich würde daher auch meine Empfehlung darauf […]

  45. Martin Reuter

    Wie immer, eine klasse Sendung.

    Es macht Freude euch zuzuhören und sich dabei Nils Köbels Mimik und Gestik vorzustellen 😉

    Ich möchte mich dem Plädoyer für eine Luhmann Sendung anschließen!

  46. Jörg Friedrich

    Als (ehemaliger) Physiker ist mir eine "Denke" sehr geläufig: die der Modelle. Der Physiker entwirft ein Modell (=Theorie) der Wirklichkeit anhand seiner Wahrnehmungen. Lassen sich mit dem Modell Wahrnehmungen UND Prognosen gut erklären, ist das Modell gut. Funktioniert das nicht oder mit einem anderen Modell besser, so verwirft man das eine zu Gunsten des anderen. Schlussendlich bleibt es beim Modell, den Anspruch die Wirklichkeit zu beschreiben sollte kein Physiker stellen.

    Im Grunde sehe ich diesen Ansatz in allen diskutierten Konzepten leuchten, sei es der Konstruktivismus oder bspw. auch bei Luhmann. Ich weiß natürlich nicht, ob ich Luhmann gerecht werde, mit dem was ich hier in einfachen Worten schreibe. Aber ich entdecke kaum Widersprüchliches zu dieser meiner Perspektive, nur kompliziertere Formulierungen.

    Sein "blinder Fleck" ist beispielsweise eine Problematik der Methodik, die ich mit folgendem beschreibe: Man kann als in einem System steckender, schlecht oder gar nichts über das System sagen. Denn dazu bräuchte man ja einen "Abstand", ein "Außen" um es ganzheitlich zu erfassen und in Relation zu "Anderem" ebenfalls "Außenliegendem" zu setzen. Und das geht nicht, wenn man im System steckt.

    Deshalb wird es wohl nie gelingen "Bewusstsein" zu verstehen, weil wir uns nicht außerhalb stellen können. Wir sind immer darin gefangen, bekommen keinen Abstand, keine Beziehung zu Anderem . Interessant ist jedoch, dass wir überhaupt Worte finden können, für etwas, dass wir eigentlich nicht begreifen: Bewusstsein, Glaube, Unendlichkeit, Null, Freiheit usw.

    Und ja, ein Podcast über Luhmann wäre nicht schlecht.

    Und ja, der gelassene Umgang mit der eigenen Position und der Anderer von Herrn Breitenbach und Herrn Köbel gefällt mir auch.

  47. Peter

    Genau! Eine Luhmann-Sendung ist wirklich überfällig! Natürlich wäre es sehr schwierig, in einer Sendung das Gesamtwerk Luhmanns zu diskutieren. Vielleicht würde sich stattdessen anbieten, den Luhmann-Habermas-Streit noch mal aufzuarbeiten, also Systemtheorie vs. Diskurstheorie oder, wie es dann im Buchtitel heißt: Theorie der Gesellschaft vs. Sozialtechnologie. Dann hätte man Habermas gleich mit abgefrühstückt. Hier könnte man dann die zentralen Unterschiede und Streitpunkte (Wiederbelebung des Werturteilsstreits (normativ vs empirisch), humantistische vs "antiumantistische Theorie etc.) herausarbeiten und diskutieren.

    Primärliteratur dazu wäre: Habermas/Luhmann: Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie. Was leistet die Systemforschung. [Hauptband], Supplement 1. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1971-1973 (= Theorie. Theorie-Diskussion.), 2 Bände:

    Als Teaser ein kurzer Auszug aus einem Gespräch der Beiden:

    Habermas: Herr Luhmann, Sie behaupten, daß meine Theorie gar keine Soziologie sei, da ich für meine Gesellschaftsanalyse einen idealen Maßstab, wie eine gute Gesellschaft aussehen sollte, brauche. Wie aber, frage ich sie, will man denn überhaupt Wissenschaft betreiben, wenn man seine normative Basis nicht reflektiert und offenlegt? Es gehört doch inzwischen unbestritten zum wissenschaftlichen Anstand, seinen Maßstab zu benennen, […] An der Schwierigkeit, sich über den eigenen Maßstab Rechenschaft zu geben, hat die alte Kritische Theorie von Anbeginn laboriert. Ich habe es einerseits als meine Aufgabe angesehen, das Defizit der alten Kritischen Theorie zu beheben. Ich war immer der Auffassung, daß die normativen Gehalte einer Theorie zur Theorie selbst gehören müssen. Darum muß jeder Wissenschaftler seinen normativen Maßstab rekonstruieren. Andererseits wollte ich die Kluft zwischen gesellschaftlicher Realität und Idealen verringern. Ideale muß man als konstitutive Ideen verstehen, die ihres >fundamentum in re< nicht entbehren, und die politische Anstrengung der Menschen muß sich darauf richten, die Abweichungen von ihren lebensorientierenden Idealen zu verringern. In diesem Sinne ist das Projekt der Aufklärung erst noch zu vollenden.

    Luhmann: Sehen Sie, an dieser Stelle habe ich bereits meine Schwierigkeiten. Als Soziologe kann man eine Gesellschaftstheorie so nicht einführen. Das könnte man als Philosoph oder als normativ orientierter Politikwissenschaftler, wobei ich auch dabei meine Bedenken anmelden würde. Die hatte ja auch Ihr Ziehvater Adorno schon, der sagt, daß sich das abstrakte Aufklärungsziel Gerechtigkeit in der gesellschaftlichen Realität zur Ungerechtigkeit wandelt. Adorno war in vieler Hinsicht realistischer als Sie. Ich habe ganz zu Beginn meiner Gellschaftstheorie im Jahre 1968 bereits gesagt, daß es um eine nüchterne, unbefangene Würdigung der Wirklichkeit gehen muß. ich bin zwar kein empirischer Forscher, doch basiert meine Theorie auf Milieukenntnis. […] Als Jurist ist man immer mit Problemen konfrontiert und muß diese Probleme lösen. […] Sieht man irgendwann einmal über den Rand seines Juristenhorizontes hinaus, entdeckt man, daß die Gesellschaft insgesamt doch ganz ordentlich funktioniert. Dann fragt man sich, wie trotz aller Probleme gesellschaftliche Ordnung möglich sei. Bei Ihnen ist eine gesellschaftliche Ordnung schon vorher da, und dann weiß man auch, wie die funktioniert. Bei mir stellt sich die Frage, wie es denn überhaupt zu einer Ordnung kommen kann. Ihr Ausgangspunkt ist die heile Welt, meiner die Probleme.

    Zitiert nach: “Jürgen Habermas zur Einführung” von Detlef Horster, Seiten 33/34; Junius Verlag, Hamburg 1999

    Oder aber man diskutiert Luhmanns operativen Konstruktivismus im Anschluss an die Thematik der letzten Sendung (übrigens: von Foerster und Luhmann waren Freunde und standen im Briefaustausch).

  48. Peter

    Nachtrag: Das ganze (fiktive) Gespräch: http://sammelpunkt.philo.at:8080/282/1/JH%2BNL.pd

  49. Friedrich

    Hallo,

    vielen Dank für eure wirklich spannende Sendung!

    Die Idee mit mehr Hörerinteraktion finde ich sehr gut – zumal ich immer sehr gerne bei euch mitdiskutieren würde. Ich weiß aber nicht, ob Hörertreffen der beste Weg sind. Schließlich sind sicher viele eurer Hörer über ganz Deutschland verteilt. Außerdem sind Diskussionsrunden mit vielen Leuten immer ein bisschen schwierig. Probiert es aber trotzdem mal aus!

    Zu eurer letzten Sendung möchte ich ein paar Gedanken beisteuern:

    Ich muss beim Konstruktivismus immer an den Roman 1984 denken. Die fiktive Partei nutzt dort nämlich genau das Argument, dass die Wahrheit eine relative Konstruktion ist. Jede Diskussion mit der Partei ist sinnlos, da ihre Wahrheit ebenbürdig ist und damit nur noch das Recht des Stärkeren von Bedeutung ist (in dessen Besitz die Partei ist).

    Das Kernproblem am Konstruktivismus ist für mich folgendes: wir können keine metaphysische Diskussion um den Wahrheitsbegriff führen. Ob es eine äußere Wahrheit gibt, kann (rein logisch) niemand beweisen. Genauso kann man aber auch nicht beweisen, dass Wirklichkeit (k)eine Konstruktion ist.

    Der Konstruktivismus hat den Fehler, dass jede Sichtweise zwangsläufig gleichwertig richtig oder falsch ist. Somit können wir Argumente aber auch nicht als Grundlage für Handlungsentscheidungen nutzen. Jede Diskussion ist sinnlos, da jede Aussage für die Diskussionspartner beliebig gültig oder ungültig ist.

    Daher geht Popper einen anderen, pragmatischen Weg: er verzettelt sich nicht in der unentscheidbaren Diskussion über die Metaphysik der Wirklichkeit. Er stellt stattdessen schlichtweg die minimalste (!) Annahme, die uns Diskussion überhaupt erst ermöglicht. Sie ist deswegen minimal, weil er zwar eine äußere Wirklichkeit voraussetzt – aber deren vollständige Erkennbarkeit durch uns Menschen ablehnt. Sie ermöglich eine sinnvolle Diskussion, weil jeder Diskussionpartner die Chance bekommt, die Argumente seines Gegenübers zu widerlegen und es somit zumindest falsifizierbare (und keine beliebig (un-)gültigen) Sätze gibt.

    Damit macht Popper weder den Fehler, eine absolute Wahrheit anzunehmen – da er ja von einer Fehlerhaftigkeit unseres Verstehens ausgeht. Aber er hat auch nicht das Problem, dass jede Diskussion in Beliebigkeit enden wird, weil man zumindest falsche Sätze verwerfen kann.

    Popper geht es dabei viel mehr um das Lösen von praktischen Problemen durch Diskussion, als darum Diskussionen um der Diskussion willen zu führen. (Letzteres würde ich Förster vorwerfen, wenn er behauptet, dass es um "spannende Geschichten" geht, wie es in der Einleitung der Sendung zu hören war).

  50. Friedrich

    Eine kleine Einwände dazu: das Argument hat in meinen Augen nämlich den gleichen "Geburtsfehler", wie das Argument mit dem blinden Fleck aus der Sendung:

    Das Argument nimmt nämlich an, dass die Existenz eines blinden Flecks auf der Netzhaut für das Gegenüber in der Diskussion nachvollzogen werden kann. D.h. damit das Argument funktioniert, muss man sich zuvor auf eine intersubjektiv nachvollziehbare Wirklichkeit geeinigt haben – in der der Gesprächspartner die Existenz einer Netzhaut prüfen kann.

    Damit dein Gegenüber das Argument prüfen kann, müsstet ihr euch zumindest auf eine Realität einigen, in der man zumindest dieses Argument widerlegen kann. Sonst wäre das Argument ja komplett sinnlos! Du brauchst also wieder diesen Popper'schen Rahmen einer äußeren Wirklichkeit, die zwar nie völlig erkannt – aber deren Existenz trotzdem anzunehmen ist…

  51. Ich weiss nicht, ob Popper den Wahrheitsbegriff nur als Ideal auffasst. Ich verstehe sein Konzept so, dass es eine Wahrheit gibt, aber man nie weiss, ob man sie gerade hat oder nicht. Es geht dabei also nicht um die Frage, ob Wahrheit existiert oder nicht, sondern um die Wahrscheinlichkeit, in deren Besitz zu sein. Eigentlich bringt der Wahrheitsbegriff viel zu viel Philosophie in die Empirie. Wenn ich Popper anwende, dann frage ich ja nicht, ob Wahrheit existiert, sondern stelle eine Konkrete Frage, z.B. ob Licht Teilchen oder Welle ist. Dann macht man eine Theorie und schaut, ob sie der Kritik standhält oder verwirft sie wieder. So betreibt man Wissenschaft zwar als letzten Stand des Irrtums, aber das halt sehr erfolgreich. Egal, ob da nun die Wahrheit mit ihren vielen Assoziationen reinphilosophiert wird oder nicht.

  52. achso, das heißt natürlich auch, dass man die Wahrheit durchaus haben kann, nur man weiß es halt nicht.

  53. Christoph

    Ja, das mit dem Physiker und dem Modell past sicher ganz gut. Allerdings ist die Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie nur Mittel zu einem anderen Zweck: z.B. besser begreifen zu können, warum ein Physiker, der über Physik spricht, anders spricht als ein "Physiker", der über seine Gedichte spricht. Es geht um unterschiedliche Zugriffweisen auf die (besser: Konstruktionsweisen der) Welt. Die Auffassung, dass man als Physiker nicht versuchen, sollte die Wirklichkeit zu beschreiben, ist eine wissenschaftliche Aussage. Man kann aber auch ganz anders über die Welt reden. Wenn der Physiker über seine Dichtertätigkeit redet, dann wahrscheinlich nicht in der Wissenschaftssprache, sondern in einer Semantik der Ästhetik oder Kunst. Die Wissenschaftstheorie ist für Luhmann die Anwendung der Unterscheidung "wahr/ falsch", in der das Wissenschaftssystem operiert, auf die wissenschaftliche Kommunikation selbst, also eine reflexive Leistung eines bestimmten Sozialsystems.

    Ich denke, dass die Erkenntnistheorie darüber hinausgehen muss auch um die Kosten, dass sie selbst nicht verifiziert werden kann, weil sie zirkulär ist. Ich denke auch, dass die Gegenüberstellung von Popper und dem radikalen Konstruktivismus etwas schief ist, da das Prinzip der Falsifikation sich gar nicht beißen muss mit einem radikalen Konstruktivismus. Man kann die Welt als reine Gehirnleistung verstehen (Erkenntnistheorie), aber geichzeitig akzeptieren, dass es bestimmte Verfahren braucht um wissenschaftliche Wahrheit zuordnen zu können (Wissenschaftstheorie).

    Zwar hast du Recht, Jörg, dass der "blinde Fleck" auch eine Problematik der Methode ist. Allerdings ist er, ich wiederhole mich, mehr als das, nämlich ein Grundprinzip, das man (natürlich aus wissenschaftlicher Sicht) konsequenter Weise auch allen anderen Perspektiven unterstellen muss. Und die Problematik des blinden Flecks wird in Intimbeziehungen anders zu lösen versucht als mit "Methoden" im wissenschaftlichen Sinne…

    Zu der komplizierten Sprache: Ja, das ist ein pain in the ass. Aber das faszinierende an Luhmann ist, dass er auch darüber nachgedacht hat und auch seine Begriffswahl versucht hat, konsequent auf ein Ziel hin auszurichten: Einen Bruch mit tradierten soziologischen Denkmustern. Dieser Mann hatte eine ausgefeilte Strategie, nicht nur wie man eine Theorie der Gesellschaft bauen kann, sondern auch wie man wissenschaftspolitisch operieren muss um auch gehört zu werden. Dazu musste er überlegen, wie es am besten gelingen kann, Lesern eine dauerhafte Irritation zu verschaffen, damit ihre Interpretationsgewohnheiten nicht genau das glattschleifen, was er hervorheben wollte. Dazu dienen die sperrige Sprache und auch die provokanten Einlassungen und Stellungnahmen gegenüber anderen Theorierichtungen. Ob das so klug war und zielführend, kann man unterschiedlich beurteilen…

  54. Lokke

    Also ich habe jetzt alle Kommentare nicht gelesen, aber es gibt es was was ich beim hören schon ständig ergänzen bzw. korrigieren wollte. Die Notwendigkeit zeigte mir auch das überfliegen einiger Kommentare.

    Also von Glasersfelds und von Försters Radikaler Konstruktivismus geht ganz klar und ausdrücklich von einer Realität aus. Nur ist diese eben für niemanden zugänglich.Das hat schon der Sophist Georgias erkannt. Da alle Wahrnehmung nur mittelbar ist und die Interpretation dann eben die Welt für uns konstruiert. Aber die Reize werden durch irgendetwas ausgelöst nur durch was wissen wir nicht bestimmt.

    Wenn wir um bei ihrem Beispiel zu bleiben ds wir gegen eine Baum fahren, und bluten, dann wissen wir nicht ob da sein Baum stand und ob das was wir empfinden Blut ist etc. Aber das da irgendetwas irgendwie geartetes ist, dsa ist klar. denn wenn wir den Baum für Einbildung unserer Verstandes halten, ist dieses Konstrukt nicht gangbar, wir werden nicht durch das was wir als Baum interpretieren durchfahren können. Die Realität setzt den Konstrukten Grenzen – ich kann nicht konstruieren das dort nichts ist, oder das ich keine stoffliche Existenz habe. Ich empfinde etwas was ich hunger nenne und und wenn ich es ignoriere weil nur Konstrukt , dann sterbe ich. Wie mein Körper oder die Nahrung beschaffen sind, deren Wesen und Akzidenzien das kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen – das kann ich nur konstruieren.

    Diese Grenzen durch die unzugänglicher Realität macht der Begriff der Viabilität überhaupt er sinnig. Durch diese Annahme einer Realität grenzt sich der radikale Konstruktivismus auch vom Solipsismus ab. Der Solipsist hält auch das Verhungern und den Tod nur für Einbildung.

    Das nicht alle Konstrukte viabel/gangbar sind, ist für von Glasersfeld der Hinweis darauf das es eine Umwelt gibt, deren Existenz nicht konstruiert ist, sondern nur deren Beschreibung ist Konstrukt.

    Man kann eben nichts darüber sagen wie diese Realität ist, aber und darauf weißt von Glasersfeld mit den Begriff der Viablilität hin, man kann sagen was sie nicht ist. zB. kann ich sagen das was ich denn Baum nenne ist nicht durchdringlich, es ist nicht ohne Wirkungen auf meinen Sinnesapparat etc.

    nur weil ich es nicht unmittelbar Wahrnehmen kann und so keinen Zugang dazu habe heißt es nicht das es nicht da ist. Zumindest aus der Sicht des radikalen Konstruktivismus.

    ok denke es ist klar was ich beitragen wollte.

    zweitens zum Diskurs des Wahrheitsbegriffs.

    da habe ich für mich eine in meinen Augen recht elegante Lösung gefunden. Ich verwende die entsprechenden Begriffe bewusst und NICHT synonym. Die abgrenzenden Bedeutungen leite ich von deren Etymologie her:

    Wirklichkeit:

    das was wirkt. wenn etwas Auswirkungen auf mich hat ist es meine Wirklichkeit. Da gilt auch für Psychosen wie Halluzinationen oder eben auch Konstrukte.

    Wahrheit:

    wahr leitet sich von treu, vertag, glauben etc ab. merken wir noch an Verwendungen wie 'eine Person ist wahrhaftig' – also das was ich als zuverlässig erfahren habe, wird für mich zu wahrheit. Damit kann ich arbeiten. (ob das letzgültig ist spielt keine Rolle, somit kann wahrheit eben irgendwann falsifiziert werden, aber bis dahin ist sie Wahrheit, dann darauf kann ich meine Handlungen gründen – ein solcher Wahrheitsbegriff lässt uns handlungsfähig bleiben – die berechtigte Kritik am Solipsismus)

    Fakt: aus dem vulgärlateinischen 'faktum' von lat. 'res fakti' – Ergebnis einer Handlung, ein Fakt wird geschaffen (schön Konstruktivistisch – aber eben eher gemäßitger Konstruktivismus oder nach Piaget) deutsches Pentant .Tatsache (fast wörtlich übersetzt aus 'res fakti')

    Realitat von res: das ist das dingliche, wesenhafte,. also das was ontologisch da ist. die Umwelt oder mein Körper und die Beziehung dessen zu meinem Verstand (denn der ist angewiesen auf die Versorgung durch das was ich Körper nenne – ich bin ja kein Solipsist). Realität sind die Entitäten, das letztendlich vorhandene. dazu habe ich zwar keinen echten Zugang, aber dennoch ist sie und wirkt auch mich die wirksamen Teile sind eben wirklich(keit).

    ich habe während meines Studiums der Sozialen Arbeit diese Liste noch fortgesetzt. soll hier aber reichen, da damit die Kommunikation schon gut ermöglicht wird, gerade im Bezug auf skeptizistisch konstruktivistisches Denken

    Achso danke noch für die sehr unterhaltsamen Stunden mit euch auf den Ohren während des Weges zur Arbeit oder beim Einkaufen

  55. Stella

    Ja, das finde ich auch eine gute Idee!

    Luhmann und Habermas und irgendwann bitte eine extra Sendung über Adorno.

  56. Vanessa

    Mein Eindruck ist, dass die Begeisterung für Konstruktivismus auf zwei Säulen beruht: Den Menschen in seinem System ernst zu nehmen, ist sicherlich extrem wichtig für jegliche Arbeit mit Menschen. Das sagt aber nichts über den Wahrheitsbegriff. Die zweite Säule ist, dass Wissenschaft in der Öffentlichkeit falsch dargestellt wird. Dies geschieht häufig durch die Medien und auch (wenn auch viel seltener) durch manche Wissenschaftler. Ich wundere mich immer darüber, dass so unfassbar viele Menschen denken, Wissenschaftler würden glauben, sie hätten unanfechtbare Wahrheiten gefunden.

    Warum wir einen Wahrheitsbegriff brauchen, dazu reicht dieses Kommentarfeld gar nicht aus. Aber vielleicht reicht schon der Hinweis, dass wir Wissenschaft auch sofort aufgeben könnten, wenn nicht sogar müssten, wenn es keinen Wahrheitsbegriff gibt. Es geht aber nicht darum zu sagen, ich habe die Wahrheit in der Tasche. Aber es gibt Regeln auf der Suche nach der Wahrheit: Logik und Argumentation. Das kann keine individuelle Wünsch-dir-was Entscheidung sein. Wenn jeder einfach glauben könnte, was er will, könnten wir beispielsweise die Menschenrechte sofort über Bord kippen.

    Trotzdem: Eine ganz wichtige Folge! Auch weil sie ein ganz weit verbreitetes (meiner Meinung nach) Missverständnis über den Wahrheitsbegriff aufgreift.

  57. Stella Schnitt

    Und? Habt ihr schon mal einen Liveact gemacht? Bin ja zu faul jetzt die ganzen Kommentare zu lesen.

  58. Erik

    Konstruktiviusmus heißt nicht „nichts ist real“ sondern vielmehr „alles ist real“ bzw. „es ist erlaubt, alles real zu finden“ (Perspektivismus). Anders ausgedrückt: Es gibt nicht ENTWEDER die eine ODER keine Wahrheit, sondern viele Wahrheiten. Und diese Wahrheiten sind Einigungen, was man für wahr erachtet.

    Das
    mehrfach angebrachte Problem bzw. der Vorwurf des Relativismus erwächst daraus, dass man
    durch das Wegfallen des Wahrheitsbegriffes auch das Wegfallen eines
    Realitäts-Fundamentes befürchtet, wo dann gar nichts mehr geht oder alles egal ist. Doch das ist unbegründet, denn es gibt
    einen viel stärkeres Fundament für die Realität als die Wahrheit: Den Willen (jedes Einzelnen).

    Für mich ist der Wille in der Philosophie ein immer noch zu wenig beachtetes Thema (Ausnahme: Nietzsche und seine französischen Rezipienten), denn wann immer jemand fragt „Was ist die Wahrheit?“, „Was kann ich wissen?“, „Was ist der Mensche?“ usw. muss man eigentlich die Frage voranstellen: „Wer will das wissen?“

    Erst mal steht hinter einer Wahrheit ein Wille, der sich durchsetzen will, daher ist auch jede Meinung/Perspektive erst mal gleichberechtigt. Damit sich nicht schädliche Dinge als Wahrheit durchsetzen (Holocaust-Leugner), müssen Diskurse gehalten werden, denn Wahrheit ist nichts, was einfach so in Büchern steht und von dort aus wirksam wird, sie muss diksutiert und immer wieder mit Lebe erfüllt werden.

    Erstaunlich fand ich, wie entschieden Patrick in seiner Ablehnung einer absoluten Wahrheit war – ist das nicht ebenfalls zu absolut? Da fand ich Köbels Ansatz durchaus sinnvoller, nämlich den Wahrheitsbegriffs in der Wissenschaft trotzdem weiter anzuwenden, obwohl man um seine Konstruiertheit weiß – das klingt zwar wacklig, aber bei der Frage, was real ist, geht es ohnehin immer um ein Balancieren, bei der man die Vielfalt der „Wahrheiten“ aushalten muss, um voran zu kommen.

    Ich bin daher auch für einen pragmatischen Umgang mit dem klassischen Wahrheitsbegriff, sofern er uns (z.B. in der Wissenschaft) weiterbringt, sprich, sofern „Wahrheit“ etwas Konstruktives ist :). Das sind alles nur Werkzeuge, die Frage ist nur, was hilft uns weiter und was wollen wir benutzen?

  59. Fragender

    Wenn wir uns nur an die Wahrheit annähern können, heißt es nicht, dass es keine gibt.
    Ich bin da ganz bei Popper. Nein, auf die Dauer gibt es keine Autoritäten, nur Argumente.

    Der kreationistische Aussagen werden immer widerlegt.

  60. dagobertr rck

    Klasse Teil, euer Podcast. Grade entdeckt, seit gestern am hören. Solch ein Programm ist mein liebstes zum hören. Hey, gut vorbereitet. Das will ich jedes Wochenende hören, über die Woche immer kleine Stücke, dann am Freitag Samstag durch hören. Habe jetzt mit Soziopod19 begonnen. Toll das Intro, las grad das Outro, den Song von Reiser, Prima ausgesucht! Weiter, weiter, weiter so! d@gobertr

  61. Michael Nowak

    Herzlichen Dank für den sehr interessanten Beitrag zum Konstruktivismus.
    Es lag Spannung zwischen Euch in der
    Luft, trotz Eures vorbildlich sachlichen Verhaltens hat es ganz schön
    geknistert. Ihr macht es Euch nicht
    leicht – mein Respekt für diesen hohen Einsatz.

    Ich konstruiere mal ein Resümee und eine kritische Reflexion
    zum Inhalt. Ich verorte den vorgestellten Konstruktivismus in der Erkenntnis-
    und in der Wissenschaftstheorie. Die Kernaussage ist, dass jeder sich seine
    Wirklichkeit im eigenen Kopf konstruiert. Universale Wahrheiten lehnt der
    Konstruktivismus daher ab, wobei er sich jedoch als wahr versteht. Diesen
    Widerspruch kann der Konstruktivismus nicht auflösen. Seine Stärke liegt darin,
    dass er eine weitere Ebene einführt. Mit einer Aussage sagt man nicht nur etwas
    über den Gegenstand der Aussage aus sondern immer auch etwas über sich selbst
    als Aussagenden. Diese Erkenntnis ist nützlich für zwischenmenschliches Agieren
    und findet Anwendung in der positiven Psychologie und im NLP. Darüber hinaus
    bring der Konstruktivismus leider wenig Gewinn. Er macht keine Aussagen darüber
    was Erkenntnisgewinn ist, wie Erkenntnisgewinn entsteht und wie man
    Erkenntnisgewinn initiieren oder fördern kann.

    Hier setzt Popper mit seinem kritischen Rationalismus an. Der
    kritische Rationalismus strebt zur Wahrheit (als Ideal) durch den Wettstreit sich
    immer besser bewehrender Theorien. Theorien kann man als menschliche Konstrukte,
    die die Wirklichkeit individuell abbilden, sehen. Die Selektion der Theorien
    erfolgt durch allgemeine Kriterien. Das bessere Argument gewinnt, jedoch nur vorläufig.
    Ziel ist der Erkenntnisgewinn.

    Man kann von einer Theorie nicht mehr verlangen als sie
    vermag. Eine Theorie ist immer ein Werkzeug für eine spezielle
    Aufgabenstellung/Frage. Daher lief Eure Diskussion genaugenommen auch auf
    unterschiedlichen Ebenen; was auch der Grund für die Hitzigkeit war. Lehrreich
    und unterhaltsam war es allemal. Weiter so.

  62. Christian Meier

    Ich habe nochmals diese Folge gehört – insbesondere mit der Diskussion zum Wahrheitsbegriff.

    Da fällt mir ein/auf, das der Heinz folgendes dazu sagt(e):

    „Vertrauen zeigt sich, wenn ich nicht zu prüfen brauche, ob das, was ein anderer gesagt hat, der Fall ist oder nicht. Natürlich kannst du jetzt einwenden: ‚Der Hörer, nicht der Sprecher bestimmt die Bedeutung einer Aussage.‘ Dann übernehme ich eben meine Interpretation dessen, was er jetzt gerade gesagt hat, das heißt das, was ich verstanden habe, das er gesagt hat; vertraue dem anderen. Und ich glaube, wenn man das weiterentwickeln würde, könnte man sagen: Das Problem der Wahrheit verschwindet, wenn man vertraut.“

  63. Walter Mengel

    wie hört sich das an ? gut !

  64. Peter Strotmann

    Holocaust Beispiel: In unserer Medienlandschaft ist die am besten erzählte Geschichte immer die mit der meisten Gewalt, somit ist die die am besten erzählte Geschichte über den Holocaust die, die der Wirklichkeit am nächsten kommt. Wo liegt also das Problem ?

  65. Ness

    Toller Idee dieser soziopod. Bin gerade erst darauf aufmerksam geworden. Allerdings fehlt mir eine differenzierte Unterscheidung von radikalem und gemäßigterem Konstruktivismus. Das hätte dem Ganzen nochmal eine andere Sichtweise hinzugefügt.

  66. Arndt Feddersen

    Danke für den Podcast!
    Das Thema ist auch immer noch aktuell! 😉

    Eine Frage an den Konstruktivisten:
    In experimentellen Versuchen mit Katzenbabys, wurden diese in Zylinderräumen großgezogen, in denen es keine horizontalen Streifen gab, sondern nur senkrechte. Als die Katzen alt genug waren wurden sie dann in eine Umgebung gelassen, in der auf Laufhöhe Querbalken angebracht wurden. Ich möchte an dieser Stelle aber garnicht auf die sicherlich fragwürdige Ethik dieser Experimente eingehen, sondern auf die Frage der Konstruktion von „Realität“.
    Die Katzen sind immer wieder gehen die Querbalken gelaufen, weil sie -so die Hypothese- in ihrem Gehirn keine Neuronen ausgebildet hatten, die bei einer solchen Form gefeuert hätten. Ergo waren sie in ihrer Konstruktion der „Wirklichkeit“ blind für diese Querbalken. Das bedeutet aber nun doch nicht, dass es kein äußeres Korrelat dafür geben würde! Die Querbalken waren ja in der Konstruktion der Wissenschaftler vorhanden, ebenso wie sie in der konstruierten Welt der Katzen für Schmerzen gesorgt haben (nur weil etwas in unserer Konstruktion nicht auftaucht, bedeutet das nicht, dass es nicht auf uns einwirkt).
    Ebenso waren wir ja bis in die Neuzeit hinein quasi solche Katzen, da wir nur Wellenlängen des elektromagnetischen Spektrums zwischen 400 und 800 nm als Farben und Wellenlängen zwischen 17 Mio. und 17 Mrd. nm als Töne wahrnehmen konnten. Für alles andere waren wir „blind“. Wir hatten keine Konstruktion dafür. Mit der modernen Technik und modernen Messinstrumenten „entdeckten“ wir den Infrarotbereich unter 400 nm, mit den Infrarotwellen, Mikrowellen und Radiowellen. Jenseits des Violetten Lichts über 800 nm „fanden“ wir dann die Ultraviolett-Bereich, die Röntgenstrahlung und die Gammastrahlung. Auf diesen Erkenntnissen beruhen tausende von Untersuchungen und Erfindungen, die wir heutzutage nutzen.
    Nun könnten wir natürlich hergehen und sagen: wir konstruieren das alles nur!
    Aber ist es da nicht ein seltsamer Zufall, dass wir die Dinge unabhängig voneinander so gleichsam konstruieren, dass die Ergebnisse unserer subjektiven Konstrukte sich alle in gleicher und erwarteter Art und Weise verhalten?
    Sprich: wenn es keine Wirklichkeit an sich gibt, kein äußeres Korrelat, das unabhängig von einem Beobachter existiert, wie kommt es dann zu dieser überwältigenden Kongruenz von Milliarden voneinander unabhängiger Konstruktionen?

  67. Nina Schmich

    Hallo liebes Soziopod-Team,
    Danke für euren Podcast. Habe euch erst kürzlich entdeckt, manche Folgen schon mehrfach gehört, aber zum Glück auch viele noch nicht, so hab ich noch was zum drauffreuen. Gerade schreibe ich eine Hausarbeit zum Thema Konstruktivismus als klassische Lerntheorie. Ich habe nun schon viele Stunden gelesen und mich dem Thema aus verschiedenen Perspektiven versucht anzunähern. Darf ich euch fragen, habt ihr noch eine Empfehlung in diesem Zusammenhang für mich?
    Über die Empfehlung eurerseits das Buch „Teil der Welt – Fraktale einer Ethik“ mit Heinz und Monika 🙂 habe ich mich sehr gefreut, bin bald fertig damit und jetzt schon sagen: Das hat Spaß gemacht!
    Herzliche Grüße, Nina

  68. Bernd Pröschold

    Sehr interessant, hätte am liebsten die ganze Zeit mitdiskutiert – mit 9,6 Jahren Verzögerung hier nun mein Senf: Der Konstruktivismus ist keine Idee weltfremder Philosophen, sondern hat seine Wurzeln – wie im Podcast ja auch angeklungen ist – in der Biologie: Die Neurobiologen Humberto Maturana und Francisco Varela haben bei Experimenten zur Farbwahrnehmung von Tauben festgestellt, dass es keine exakte Korrelation zwischen den Eigenschaften der Farbquellen und deren Wirkung auf die Netzhaut der Tauben gibt. Tauben entwerfen somit ihre eigene Wirklichkeit, und was für Tauben gilt, gilt auch für Menschen. Beobachter sind demnach selbstreferentielle Systeme, die basierend auf internen Vorgängen Wirklichkeitsmodelle entwerfen. Entscheiden ist – und dieser Gedanke kam mir im Podcast etwas zu kurz – dass es sich bei Erkenntnis immer um einen PROZESS handelt: Genau, wie sich in der Evolution bestimmte Lebensformen ausbilden, entwickeln sich in der Wissenschaft gewisse Theorien. Weder bei Lebensformen noch bei Theorien geht es darum, die beste Lösung zu finden, sondern nur solche, die Anschlussoperationen ermöglichen. In der Evolution sind ausgeklügelte Wahrnehmungsapparte sicherlich ein Überlebensvorteil; in der Wissenschaft sind Theorien, die nicht an der Wirklichkeit scheitern, sicherlich ein „Überlebensvoteil“. Wichtig ist aber am Ende nicht die objektive Qualität eines Wahrnehmungsorgans oder einer Theorie, sondern bloß, dass Anschlussoperationen ermöglicht werden.

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