Soziopod Live & Analog #010: „Angst und Gesellschaft“ auf dem Turm der Sinne Symposium in Fürth

Aufnahme vom 14.10.2018 auf dem Turm der Sinne Symposium in Fürth.


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3 Antworten zu „Soziopod Live & Analog #010: „Angst und Gesellschaft“ auf dem Turm der Sinne Symposium in Fürth“

  1. Marcel

    Hallo Herr Breitenbach, hallo Herr Köbel,

    zur der Podiumsdiskussion zum Thema Angst und Gesellschaft möchte ich gerne ein paar Gedanken loswerden.

    Als das Thema Ideologie bzw. Neoliberalismus aufkommt, weist Herr Köbel zurecht darauf hin, dass ein Systemwechsel nicht garantiere, dass es zu besseren Lösungen/Verhältnissen komme. Stattdessen sollten in Teilbereichen bessere Lösungen gesucht werden. Am besten im Sinne des Kritischen Rationalismus. So sehr ich mir persönlich einen solchen Gesellschafts- und Politikwandel wünsche, für so unwahrscheinlich halte ich ihn auch.

    Die Ideologie des Neoliberalismus hat seine Wurzeln in der neoklassichen Wirtschaftstheorie, entspringt also nicht der politischen sondern der ökonomischen Sphäre. Dennoch ist es ihren Anhängern gelungen, immer mehr Gesellschaftsbereiche nach ihren Wertvorstellungen und Prinzipien zu gestalten, nämlich nach wirtschaftlichen. Wir sehen diese Entwicklungen im Kulturbereich, im Gesundheitsbereich, im Wissenschaftsbereich etc.. In Japan bspw. hat das Bildungsministerium 2015 die staatlichen Universitäten zur Schließung ihrer geisteswissenschaftlichen Fakultäten auffordert.

    Nehmen wir an, dass eine Gesellschaft in allen elementaren Bereichen nach einer Ideologie ausgerichtet ist. Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass eine essentielle Abweichung bzw. Veränderung in einem dieser Bereiche noch möglich ist, wenn alle anderen Segmente (z. B. die Politik) die ideologischen Prämissen verinnerlicht und damit akzeptiert haben? Ich persönlich halte das für ausgeschlossen und dies gilt erst recht, wenn sich diese Entwicklungen global abzeichnen. Was das für die thematisierten Ängste der Gesellschaft bedeutet ist m. E. naheliegend. Sie werden sich verstärken.

    Eine weitere Anmerkung möchte ich zu einer Äußerung von Herrn Breitenbach im gleichen Kontext machen. Er sagt, und da schließe ich mich ihm an, „ich möchte keine gewaltsamen Umstürze haben“.

    Aus einer historisch-analytischen Perspektive ist es klar, dass es selten weitgehend friedvolle Umstürze gegeben hat. Die DDR ist wahrscheinlich ein äußerst seltenes Beispiel. Was aber tun, wenn sich, wie oben vorausgesetzt, eine Ideologie in allen grundlegenden Gesellschaftsbereichen etabliert hat und der Staat den Status Quo durch seine Strukturen und sein legitimes Gewaltmonopol (nach Max Weber) schützt? Ist dann eine gewaltlose Durchsetzung alternativer Ideen und Lösungen überhaupt noch denkbar? Ich halte das für nahezu ausgeschlossen.

    Vielleicht hatte Fukuyama doch recht…

    Ich würde mich für Ihre Gedanken interessieren.

    Ansonsten möchte ich mich für Ihre tolle Arbeit bedanken und kann Ihnen, anders als der Politik, nur sagen: Weiter so.

    Freundliche Grüße

    Marcel

  2. Thomas

    Zuerst einmal vielen Dank an Euch für eine weitere gelungene Episode. Ohne Übertreibung kann ich sagen, dass Ihr mein Leben mit Eurem Podcast sehr bereichert.
    Ich fand es äußerst interessant, dass das Thema Schulpflicht bei der Episode zu Angst und Gesellschaft angesprochen wurde. So ist doch leider für viele junge Menschen die Schule ein Ort der Angst vor Versagen, vor Mobbing, vor Bloßstellung und nicht ein Ort, wo deren Interessen und Bedürfnisse berücksichtigt werden. Ich möchte dabei aber betonen, dass ich keine Pauschalkritik aussprechen möchte und dass mir bewusst ist, dass an den Schulen viele Lehrerinnen und Lehrer mit großem Engagement tätig sind. Dennoch halte ich einen Paradigmenwechsel für notwendig, da meiner Meinung nach viele Ängste ihren Ursprung in der Kindheit haben. Erlebnisse und damit verknüpfte Gefühle in dieser Zeit sind häufig prägend für das spätere Leben. Daher halte ich einen wertschätzenden und respektvollen Umgang (natürlich nicht nur) mit jungen Menschen für sehr wichtig. Dazu gehört aber auch gegebenenfalls ein Nein zur Schule zu akzeptieren. Darüber hinaus halte ich es nicht für möglich, dass Bildung, also ein sich zu eigen machen von Wissen unter Zwang stattfinden kann. Bildung in diesem Sinne kann ja nur als aktiver Prozess des lernenden Subjekts verstanden werden und kann daher nicht verordnet werden.
    Dr. Köbel bringt die Idee des Rechts auf Bildung im Gegensatz zu einer Bildungspflicht ( die wir ja in Deutschland zu einer Schulbesuchspflicht gemacht haben, denn eine Bildungspflicht gibt es beispielsweise in Österreich, wo es nicht vorgeschrieben ist, sich ausschließlich in einer Schule zu bilden) ein und trifft den Punkt sehr gut. Um dies zu verdeutlichen, muss man sich nur den Unterschied zwischen einem Wahlrecht und einer Wahlpflicht vorstellen. Falls diese Wahlpflicht dann auch noch mit polizeilicher Gewalt durchgesetzt werden würde, wären viele Leute sicher nicht damit einverstanden.Dabei sei angemerkt, dass für Betroffene die Durchsetzung der Schulpflicht mit Polizeigewalt meistens eine traumatisierende Erfahrung ist, die Bildung behindert und nicht befördert.
    Da in dem ersten Kommentar das Thema Neoliberalismus (der sich für mich durch ein Zurückdrängen der sozialen Marktwirtschaft zugunsten eines entfesselten Kapitalismus definiert )angesprochen wird, möchte ich auch darauf noch eingehen. Es liegt in der Natur des Kapitalismus, immer mehr Lebensbereiche zu kolonisieren und sich auf Bereiche auszudehnen, die bisher nicht unter der Prämisse der Ökonomie standen. Auch auf die Bereiche der Familie, der Erziehung und Bildung trifft dies zu. So habe ich den Eindruck, dass längst nicht mehr der teilhabende und sich im Gemeinwesen engagierende Bürger das Ziel von Bildung und Erziehung ist, sondern ein Heranziehen von Humankapital als Fachkräfte für die Arbeitsmärkte der Zukunft. Ich beobachte das bei Familien, wo schon die Grundschulkinder massiv unter Druck stehen, um ja den Übertritt zum Gymnasium zu schaffen und die Angst vor dem sozialen Abstieg Einzug hält. Auch das viel gelobte Konzept der Ganztagsschule ist ein gutes Beispiel, geht es doch dabei nicht in erster Linie um die Interessen der Kinder, sondern darum, dafür zu sorgen, dass beide Elternteile dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen und leider sind die ökonomischen Erfordernisse so, dass den meisten Familien gar nichts anderes übrig bleibt als dieses Angebot anzunehmen, ob sie sich damit wohl fühlen oder nicht.
    Ich halte es aber für sehr wichtig und notwendig sich (auch einzelne und kleine) Räume und Bereiche zurück zu erobern um Freiräume zu schaffen, die es uns ermöglichen Formen des Zusammenlebens zu entwickeln, die auf Kooperation und nicht auf Konkurrenz beruhen.

  3. Ich freue mich, dass das Thema „Schulpflicht“ zum Gegenstand dieser Sendung wurde.
    Ich betreibe eine Website, den Freilerner-Kompass, der das Thema „Freilernen“ ausführlich behandelt. Eine Form der Bildung, die vom Kind selbst gesteuert und bestimmt wird und häufig völlig informell passiert. In Deustchland gibt es inzwischen sicher um die 2000 Kinder, Tendenz steigend, die sich auf diese Art abseits von Schule bilden. Ich bin auch aktiv in einem Verein, der Freilerner-Solidargemeinschaft, die junge Menschen und deren Familien mit Beratung, allgemeiner Aufklärungsarbeit und Vermittlung an versierte Jursiten unterstützt.

    Unsere derzeitige ausnahmslose Schulanwesenheitspflicht ist in vielerlei Hinsicht höchst probelmatich. Was ist, wenn ein junger Mensch explizit erklärt, dass er nicht zur Schule gehen möchte? Dürfen wir ihn da zwingen? Das ist eine grundlegende Frage von Menschenrechten. Sind Kinder auch Menschen? Gilt für sie auch Artikel 1 und 2 des Gundgesetztes? Hinzu kommt, dass es inzwischen hinreichend Studien gibt, die belegen, dass Lernen ohne Schule mindestens nicht schlechter funktioniert als mit Schulbesuch. Soziale Kompentenz, gesellschaftliche Integration, Engagement, spätere Jobchancen. Das alles schneidet bei freilernenden und heimbeschulten jungen Menschen genauso gut ab. Im Bereich der Toleranzforschung konnte sogar ermittelt werden, dass Menschen mit jedem Jahr, das sie eine Schule NICHT! besucht haben, signifikant toleranter sind als die Vergleichsgruppe von beschulten Menschen.

    Informationen dazu und anderen wesentlichen Aspekten des Themas können Sie unter anderem entnehmen aus den Tagungsbänden unserer wissenschaftlichen Kolloquien, die wir bereits zum Thema verlegt haben: „Selbstbestimmte Bildungswege als Kindeswohlgefährdung?“ https://www.tologo.de/selbstbestimmte-bildungswege/ und „Selbstbestimmte und selbstorganisierte Bildung versus Schulpflicht“ https://www.tologo.de/bildung-versus-schulpflicht/
    Beide erschienen im tologo Verlag.

    Und noch kurz zum Punkt der bildungsfernen Schichten: Es wurde geäußert, dass es für diese Kinder immerhin gut sei, dass sie mit der Polizei gegen ihren Willen zur Schule gebacht würden, zu ihrem eigenen Wohle.
    Davon mal abgesehen, dass auch dies natürlich eine Frage von Menschenrechten ist und auch die jungen Menschen aus schwierigen Verhältnissen zugestanden werden muss, „Nein“ sagen zu dürfen – die essntiellste aller Freiheiten: Verwundert es, dass gerade diese Menschen sich so hartnäckig gegen unser derzeitiges Schulsystem verweigern? Ein System dass weltweit führend darin ist, die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse zu zementieren und jedes Jahr zehntausende Systemverlierer produziert. Und da wundern wir uns, dass die Verlierer dieses Systems sich ihm entziehen wollen? Stattdessen kriminalisieren wir sie. Pathologisieren sie. Stecken sie in zweifelhafte Maßnahmen.
    Nein, das kann und darf es nicht sein. Die Antwort liegt woanders.
    Wenn Sie das Thema näher interessiert, dann kontaktieren Sie mich gern.
    Sie erreichen mich unter kontakt@freilerner-kompass.de

    Unseren Verein, die Freilerner-Solidargemeinschaft, erreichen Sie unter:
    https://www.freilerner-solidargemeinschaft.de/

    Es grüßt herzlich
    Stefanie Weisgerber aus Grevenbroich, NRW

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