Soziopod #043: Mein Kick, meine Ehre, meine männliche Gewalt


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26 Antworten zu „Soziopod #043: Mein Kick, meine Ehre, meine männliche Gewalt“

  1. David

    Ethnologie und Methoden qualitativer Sozialforschung einfach einmal ohne vorhergehende Entschuldigung und ewiges Kleinreden der Ergebnisse als ganz „normale“, seriöse Wissenschaft dargestellt. Danke, danke, danke! Ich bin es aus meinem Studium so leid, dass nur ein Forschungsergebnis mit Prozentzeichen und Korrelations-Sternchen als „seriöse“ Wissenschaft anerkannt wird.
    Sollte es Leute geben, die mehr über die Grounded Theory erfahren möchten – dazu gab es vor einer Weile eine Episode im Kulturkapital-Podcast, die das an der faktischen Entstehung eines Forschungsdesigns durchdekliniert (übrigens auch im Rahmen eines Methoden-Seminars entstanden ^^) http://kulturkapital.org/kk021-grounded-theory/

    1. David

      Achso was mir grad in der Zusammenfassung noch eben in den Kopf kommt. (Jaja man sollte erst nach dem gesamten Podcast kommentieren, aber mir schwirrt das dann immer so durch den Kopf und ich kann dem Gespräch nicht mehr konzentriert folgen…) Das Besitzdenken „deutscher Männer“ in Bezug auf „ihre Frauen“ wird ja auch in den Debatte ganz offenbar und wird zu Recht von der Kampagne #ausnahmslos kritisiert und aufgegriffen. Wie schnell wurde aus dem furchtbaren Geschehen ein Diskurs, dass „der Ausländer“ sich wagt sich an „unseren Frauen“ zu vergehen – neben Alice Schwarzer in meiner Wahrnehmung vor allen Dingen von Männern vorgetragen, die ich der konservativen bürgerlichen Elite zuordnen würde, die in vielen wichtigen Medien die wichtigen Posten innehaben.
      Ich habe wirklich Angst davor, was dieses Karneval passieren wird. Nach allem was ich aus meinem Umfeld weiss handelte es sich bei Köln um kein neues Phänomen sexistischer Übergriffe, sondern um einen Exzess der auf einen fruchtbaren öffentlichen Diskurs traf – und zwar auf mehreren Ebenen, von Lügenpresse bis zum angeblich so kriminellen Nordafrikaner an sich. Wenn jetzt besorgte Bürgerwehren auf deviante ausländisch aussehende Menschen treffen… Im aktuellen Dschungelcamp-Diskurs spräche man wohl von „mächtig Kasalle“. Alles nicht wirklich schöne Vorstellungen im Moment.

      1. Das ist auch ein Kern des Antisemitismus der Nazis gewesen. Dass die Juden „unsere“ Frauen sich schnappen. Damals noch im größeren Kontext gesehen, dass somit die Gesundheit des Volkskörpers gefährdet ist. Das Jüdische also als Krankheit. Ich kann mir nicht helfen diese Ebene im momentanen Diskurs immer mitzuhören.
        P.S. Wie froh sie alle waren als in Nordwestafrika die Ebola ausbrach. Endlich konnten wir mit dem Finger hinzeigen und sagen: „Schaut, die sind wirklich krank und wollen uns infizieren!“

  2. Zum Gewaltbegriff finde ich eine Differenierung schon noch notwendig:
    Gewalt ist nur dann Gewalt und nicht „bloß“ Agression, wenn sie mit relativer Macht einhergeht….
    Ich erinnere mich da an meine Zulassungsarbeit, in der ich nach diversen Recherchen zum Gewaltbegriff immer davon las, dass eine inflationäre Verwendung des Begriffs Gewalt wenig hilfreich ist und den Begriff damit auf Dauer entwertet.
    Wenn ein kleiner Junge aus irgendeiner Frustration heraus nach seinem Papa tritt, dann ist das Aggression und nicht Gewalt…
    Wie seht Ihr das?

    1. Herr Breitenbach

      Wir haben bewusst den Gewaltbegriff von Reemtsma verwendet, weil wir ihn beide als sehr schlüssig und griffig empfinden. Natürlich ist dies nicht die einzig gangbare Definition von Gewalt, aber für uns bewährt sie sich.

      Und mit „Macht“ als Referenzpunkt hätten wir dann doch im Grunde das gleiche Unschärfe- und Referenzproblem. Nimmt man nämlich Foucaults Machtbegriff, so würden Vater und Sohn sich in einer Machtbeziehung befinden und dann wäre dieser Tritt eben auch ein Akt der Macht.

  3. Korrektur:
    Nicht „davon las“ sondern „darüber schrieb“…

  4. Zeiserl

    Danke, danke! Diese Folge hat einen sehr verregneten Sonntag gerettet; ich bin sehr angetan von eurer sorgfältigen, nachdenklichen Aufarbeitung von Forschungserkenntnissen in diesem freundlichen Konversationsrahmen. Das Haus ist jetzt auch viel ordentlicher.

    1. Herr Breitenbach

      Das freut uns. Und das Haus ggf. auch 🙂

  5. Holger Spieckermann

    Vielen Dank für den lehrreichen Podcast Von wem ist denn der Song am Schluss des Podcast?

    1. Herr Breitenbach

      Danke!

      Rainer von Vielen: Mein Block
      https://www.youtube.com/watch?v=ZkQCo2Ov1zw

      1. Sehr gute Musikauswahl. Ist das die Referenz, die ich vermute?

        „Mein Block“ wurde von Blumentopf, Sido und Azad vertont. Die drei Singles kamen damals kurz hintereinander raus und sind ein Spiegelbild für die drei Hiphop-Szenen.

        Zu der Hypothese, dass die Clique die Erziehung übernimmt, gibt es auch einen schönen Klassiker: Torch – Als ich zur Schule ging.

        Und jetzt frage ich mich, warum ich solche Musik kenne 🙂

        1. Herr Breitenbach

          Der Anfang ist von Sido, etwas durch die Audiomangel gedreht. Und am Ende Rainer von Vielen. Also gibt es schon zig Versionen des Tracks „mein Block“.

          Naja und gerade mit „Mein Block“ wurde Sido ja der Weg in den Mainstream geebnet. Aber es ist wirklich faszinierend wie verschieden die Hip-Hop Kultur sich entwickelt hat. Von Peace & Love bis Hate & Crime ist da mittlerweile alles vertreten und nun noch jazziges mit Kendrik Lemar. Ich mag diese vielfältige Kultur.

          Mein Favorit war natürlich die superironische Gymnasiasten-Slacker-Hip-Hop a la Fischmob. Und natürlich die frühen Fantas, 5 Sterne etc.

          Also keine Sorge sich da auszukennen 😉

  6. josephine

    gibt es auch entsprechende forschungen über weibliche gewalt?
    der podcast scheint mir nach dem ersten hören, doch sehr von vorurteilen, was das männlichkeitsbild angeht, geprägt, die das bild von männlichkeit ja nicht grad abschwächen, sondern die unterschiede von männlichkeit und weiblichkeit noch hervorheben und somit verstärken.
    vielleicht ist gewalt ja auch kein entwurf von männlichkeit, sondern von macht/stolz/ehre etc. ?
    muss das denn auf zwingend auf männlichkeit bezogen werden?

    1. Herr Breitenbach

      Wir hatten das ja ganz kurz angesprochen, dass es natürlich auch weibliche Gewalt gibt, die sich aber offenbar etwas anders artikuliert. Selbstverständlich wird auch in diese Richtung geforscht. In dieser Episode haben wir uns aber rein auf die männliche Gewalt ihren starken Ausprägungen nach Außen in Form von gruppenbezogener körperlicher Gewalt konzentriert und da sind eindeutig Männer in der Überzahl, aus welchen Gründen auch immer. Und natürlich haben wir Gewalt ja gerade mit Ehre, Stolz und Macht verknüpft und nicht in erster Linie auf das männliche Geschlecht. Aber Ehre, Stolz etc. sind offenbar Narrative, die bei Männern stärker kursieren oder sie stärker anspricht. Aber eine Pauschalisierung schließen wir aus. Es kommen ja noch zig Faktoren hinzu, die zur tatsächlichen körperlichen Gewalt führen, d.h. man muss nicht einfach nur männlich sein und das wars dann.

  7. josephine

    wird das dann auch in den Gruppen als ‚männlich‘ deklariert, also sind männlichkeitsbilder explizit innerhalb der gruppen thema? das ist für mich nicht so klar geworden, das würde ja die forschung in der form rechtfertigen.
    falls ihr in der richtung auch forschung über frauengruppen findet, würde mich das sehr interessieren. eine interessante frage wäre dann an welchen orten gewaltformen von frauen in der überzahl sind.
    da kommt die definition von gewalt über körperlichkeit, die war für mich nicht ganz schlüssig, vielleicht als einschränkender faktor zum tragen.

    1. Herr Breitenbach

      Das wäre sicherlich hochinteressant. War aber in dieser Episode nicht unser Thema.

      Und die Reemtsma’sche Definition ordnet ja auch psychische Gewalt immer als eine auf den Körper zielende Gewalt ein. Das ist für mich kein Widerspruch. Ziel ist immer auch indirekt der Körper. Ist ja eigentlich auch logisch, denn der Geist sitzt sowieso darin.

      1. josephine

        Der Geist sitzt aber in dem Falle auch immer im Körper und kann dementsprechend selbst bei rein körperlichen Angriffen das eigentliche Ziel sein. Diese Logik beisst sich selbst in den Schwanz…
        Aber eine Definition bzw. Fokusierung von Gewalt als eine Ausübung von Gewalt gegen den Körper macht in jedem Falle Sinn, ist aber eben eine Einschränkung.

        Ich werd mich wohl nochmal mit dem Herrn Kersten beschäftigen, um herauszufinden wer jetzt was wie mit Männlichkeitsbildern verbindet, die Gewalttäter selbst, der Forscher oder ihr …

  8. josephine

    aber trotz meiner einwürfe ein großes lob an euch, grade kategorisierungen helfen mir immer sehr ein bild von einem gegenstand zu bekommen 🙂

    1. Herr Breitenbach

      Dankeschön. Und die Einwürfe sind ja auch berechtigt und sehr wichtig. Wir wollen ja mehr Fragen aufwerfen als abschließende Antworten liefern.

  9. Also meine Schüler_innen beschweren sich immer, wenn ich das Wort „Telefon“ benutze, um Smartphone zu meinen.

  10. Wolfgang W.

    „Die Mädels können miteinander kuscheln, wir müssen uns halt gegenseitig in die Eier treten.“ (um 00:54:00) 😀

  11. Mic

    Wieder eine sehr gelungene Folge, vielen Dank dafür!

    Ich habe früher mit Migranten- und Mädchengangs gearbeitet und würde gerne ein paar Ergänzungen aus meiner Praxiserfahrung dazu anführen:

    – Das Männlichkeitsbild in den beschriebenen Gruppen (v.a. gewalttätige Randgruppen der Gesellschaft) ist sehr auf Stärke, Macht, Kontrolle, Gewalt ausgerichtet. Das ist den Männern in diesen Gruppen und den Frauen, die mit ihnen zu tun haben, in Beziehung stehen etc. bewusst und wird als identitätsgebend transportiert. Die entscheidende Frage ist dabei „Bist du ein RICHTIGER Mann oder bist du ein Waschlappen?“ Die Kontrolle und Erniedrigung von Frauen dient dabei (vor allem lozierend, aber nicht nur) als eine Art „Grenzsetzung“. Die Männer grenzen sich von den Frauen ab und stellen sich dabei über sie. Es sind also ganz klassisch patriarchale Strukturen. Die Frauen sind, wie Dr. Köbel bereits erklärt hat, Besitz und Territorium. Sie sind innerhalb dieser Gruppen in einer Opferrolle gefangen.

    – Mädchengangs bestehen vor allem aus Frauen, die sich dieser Machostruktur widersetzen, ohne aus ihr auszubrechen. Für sie besteht der Weg darin, die Männergangs zu kopieren in ihren Strukturen, ihrem Aussehen (männliche Kleidung) und ihrem Habitus (auf den Boden spucken, Pöbeln, aggressives Auftreten,Territorialverhalten). So sind sie keine reinen Opfer ihres patriarchalen Milieus mehr, sondern werden selbst zu Tätern und überhohen sich, indem sie andere erniedrigen. Dr. Köbels Ausführungen lassen sich hier dann fast eins zu eins übertragen.

    – Mit massiver körperlicher Gewalt reagiert nur ein sehr geringer Teil der Frauen. Die meisten Frauen (und hier spricht ausschließlich meine Erfahrung) agieren ihre Gewalt sehr viel subtiler aus. Wenn es körperlich wird, geht es meist um temporäre Gewalt gegen Kinder (z.B. zu lange nicht die Windel wechseln, zu lange hungern lassen).

    – Psychische Gewalt kommt allerdings sehr häfig vor. Hier finde ich sogar die vorgestellten Typen (Krieger, Söldner) sehr passend, nur dass sie eben nicht ihre Fäuste benutzen, sondern psychologischen Druck ausüben. Kriegerinnen kommen dann in ihrer Gruppe zusammen und verteidigen ihr Territorium auf der Tanzfläche eines Clubs. Wenn eine Außenstehende dort (geografisch) eindringt, wird sie wieder rausgemobbt. Ein weit entferntes, aber interessantes Beispiel sind hier New Yorker Fähren. Viele Frauen schminken sich auf dem Weg zur Arbeit in der Damentoilette auf der Fähre. Die Sitzplätze vor dem Spiegel sind einer bestimmten Gruppe von Alpha-Frauen vorbehalten. Wenn sich eine nicht-Alpha-Frau doch hinsetzt, wird sie sofort von den anderen Alpha-Frauen massiv verbal angegangen, sodass sie den Platz (das Territorium) vor dem Spiegel räumt.
    Söldnerinnen trifft man dann, wenn es nur um Macht geht und nicht um territoriale Verteidigung. Machtspiele und die Ausnutzung von Macht trifft man eigentlich überall, vor allem aber im beruflichen Kontext. Hier sind dann nicht die Fahnen einer Mannschaft entscheidend, sondern z.B. der Kleidungsstil, die Vorlieben für bestimmte Musik oder Filme. Machtspiele im Büro werden dann in Frauenfilmen wie „Der Teufel trägt Prada“ dargestellt, ein eher humoristisches Pendant zu Fightclub.

    – Meine persönliche These ist, dass Frauen ähnlich häufig gewalttätig sind wie Männer, nur die Intensität und die Art sich unterscheiden. Als Frau erlaube ich mir die Vermutung, dass sich aufgrund einer quantitativ höheren physischen Unterlegenheit eine quantitativ höheren psychische Überlegenheit entwickelt hat (wenn man hier die statistische Häufigkeit betrachten würde). Mich würde allerdings auch sehr interessieren, ob hierzu Daten gibt.

    1. LouAndreaPsychofee

      Da gibt es für auch soziologisch Interessierte und die, die vllt auch die Anfälligkeit und die Art zu Denken von moslemischen „Jungs“ für Gewalt und – ich nenne es mal – die Sehnsucht nach Triumph, sich endlich auch einmal machtvoll zu erleben, ein erhellendes Buch: „Turkish Power Boys“…

    2. Nils Köbel

      Hallo Mic,
      Frauen sind sehr viel häufiger in der psychischen Gewalt als in der körperlichen zu finden, jedoch ‚mobben‘ Jungs ebenfalls im Internet. Ich würde bei der These bleiben, dass Gewalt primär ein Männerproblem ist, auch wenn es natürlich spezifisch weibliche Gewalt gibt. Statistisch nimmt die sogar in den letzten Jahren zu, bleibt jedoch immer noch weit hinter der männlichen Gewalt zurück. Männer schienen immernoch Gewalt sehr viel besser in ihr Rollenbild integrieren zu können als Frauen.

  12. Maxim

    Schöner Beitrag zur männlichen Ehre.

    https://youtu.be/igxN6HmHj_s

    Am besten bis zum Ende schauen…

  13. Lena

    Höre den soziopod gerade zum ersten mal. Bin sehr angetan. Merke aber etwa auf der Hälfte, dass sich -zumindest in dieser Ausgabe – eine ausgefeiltere Mikrofon-Technik sehr auszahlen würde. Zumeist werdet ihr (ich bin so frei) ja vermutlich über Kopfhörer gehört, ihr seidalso im Ohr, im Kopf des Hörers und wenn das dann da knackt oder so pufft bei p- und b-lauten, weil zuviel Wind im Mikro ist, dann ist der Wind auch in meinem Kopf und die schöne Illusion, dass ich euch „in Echt“ im Ohr hab, ist dahin.
    Nur Mut zur Wertschätzung für die eigene Arbeit. Das ist so klug gesprochen, dann hat es auch eine „saubere“ Akustik verdient.
    Lieben Gruß, Lena

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